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Energiesystem

Studie setzt auf grünes Gas

Michael Hahn, 13.12.17
Der Einsatz von erneuerbarem Gas kann in einem CO2-freien Energiesystem erhebliche Kostenvorteile bringen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung. Dafür braucht es allerdings mehr erneuerbare Energien – und passende Rahmenbedingungen.

Wie soll das Energiesystem der Zukunft aussehen? Darüber sind sich nicht nur Experten uneins. Zielvorgabe der Bundesregierung ist, dass bis 2050 Treibhausgasneutralität herrschen soll, also keine klimaschädlichen Stoffe wie CO2 mehr in die Atmosphäre abgegeben werden. Es gibt unterschiedliche Wege und Technologien, dieses Ziel zu erreichen.

Zwei Szenarien hat das Beratungsunternehmen Enervis in einer aktuellen Studie im Auftrag des Bundesverbands WindEnergie (BWE) und der Initiative Erdgasspeicher (Ines) untersucht. „Der Fokus liegt auf der Frage, in welchen Bereichen und in welchem Umfang der Einsatz von erneuerbaren Gasen technisch zwingend erforderlich und volkswirtschaftlich vorteilhaft ist“, schreiben die Autoren. Darunter verstehen sie Biomethan und die mittels Elektrolyse synthetisch aus erneuerbarem Strom hergestellten Gase Wasserstoff und Methan. Diese Technik wird als Power-to-Gas bezeichnet.

Szenario eins geht von einer „maximalen Elektrifizierung“ aus. Dabei werden alle Sektoren des Energiesystems, auch Wärme und Verkehr, soweit es geht mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt. Daneben stellen die Autoren ein „optimiertes System“, in dem auch andere Energieträger, sprich: grünes Gas, beim Endkunden zugelassen sind. Dieses Szenario sehen die Experten klar im Vorteil.

Einsparung von 19 Milliarden Euro

„Die Erzeugung erneuerbarer Gase über Power‐to‐Gas bietet die Möglichkeit, die Gasspeicher und Gasnetze auch in einem treibhausgasneutralen Energiesystem zu nutzen. Dies ermöglicht den weiteren Einsatz von erneuerbaren Gasen im Wärmemarkt und führt so zu volkswirtschaftlichen Vorteilen“, sagt Sebastian Klein, Prokurist bei Enervis.

Insgesamt können durch die Nutzung synthetischer Gase laut Studie Kosten von 19 Milliarden Euro gegenüber dem vollständig elektrifizierten System eingespart werden. Denn im Vergleich wären 5,4 Millionen Wärmepumpen, 60 Gigawatt Leistung aus Gaskraftwerken als Reserve, 150 Gigawatt Batteriespeicher sowie 63 Prozent an Strom-Übertragungsnetzen weniger nötig. Auch für Haushaltskunden bringe das Misch-Szenario Vorteile: Mit Gasheizungen könnten sie demnach gegenüber Strom-basierten Systemen bis zum Jahr 2050 rund 70 Milliarden Euro sparen.

Zudem könnte die schwankende Erzeugung der Erneuerbaren durch Gasspeicher und -Netze ausgeglichen werden. Sogenannte Dunkelflauten, also Phasen, in denen über einen längeren Zeitraum weder Wind weht noch die Sonne scheint, seien laut Ines-Geschäftsführer Sebastian Bleschke in diesem Szenario „Geschichte“. „In einem Energiesystem, welches ausschließlich auf der Erzeugung erneuerbarer Energien beruht, benötigen wir Stabilität durch Flexibilität. In Verbindung mit Power‐to‐Gas können Gasspeicher diese Flexibilität erneuerbar bereitstellen“, so Bleschke.

930 Terawattstunden Erneuerbaren-Gas-Bedarf

Insgesamt haben die Studienautoren für 2050 einen Erneuerbaren-Gas-Bedarf von 930 Terawattstunden (TWh) ermittelt. Im Szenario der maximalen Elektrifizierung seien immer noch rund 420 TWh technisch zwingend erforderlich, weil sie auch in der Industrie und Teilen des Verkehrs am kosteneffizientesten wären. Der enorme Mehrbedarf des optimierten Systems müsse durch ein Plus von 13 Prozent (247 TWh) an erneuerbaren Energien gedeckt werden. Umgerechnet bedeute das einen Flächenbedarf von insgesamt je zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft und Freiflächen-Photovoltaik. Der Hintergrund sind Verluste beim Umwandeln von Strom zu Gas. Der Wirkungsgrad beim Power-to-Gas-Prozess ist im Vergleich zur direkten Nutzung des Stroms niedriger. Zum Vergleich: 2016 wurden in Deutschland rund 650 Terawattstunden Strom erzeugt, die Erneuerbaren trugen dazu etwa ein Drittel bei.

BWE-Präsident Hermann Albers fordert deshalb, dass die derzeitigen Ausbaudeckel für erneuerbare Energien wegfallen müssten. Laut Studie braucht es in 2050 eine Kapazität von 200 Gigawatt Onshore-Wind, derzeit liegt sie mit rund 46 Gigawatt bei knapp einem Viertel. „Wir werden bei Wind an Land bis 2050 zwar eine Vervierfachung der installierten Leistung sehen, aber nicht eine Vervierfachung der Anlagenzahl.“ Denn künftig würden Anlagen mit einer Leistung von sechs Megawatt verbaut. „Wer Energiewende ehrlich meint, kommt an einem ambitioniert starken Ausbau der Windenergie nicht vorbei“, so Albers. Es sei möglich, die Dekarbonisierung über alle Sektoren zu schaffen.

Um den Ausbau der Power-to-Gas-Technologie voranzubringen, fordern Ines und BWE, dass die politischen Rahmenbedingungen angepasst werden. Die gespeicherte Energie dürfe nicht wie derzeit doppelt mit Umlagen und Abgaben belastet werden, sagt Sebastian Bleschke. Es müsse einen fairen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Flexibilitätsoptionen geben.

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