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Atomkraftwerke

Ein AKW-Weiterbetrieb wirft sehr viele Fragen auf

Tim Altegör, 05.08.22
Aus Union und FDP kommt die vehemente Forderung, wegen Gasknappheit den Atomausstieg zu verschieben. Ein Weiterbetrieb der restlichen Reaktoren dürfte jedoch nur wenig helfen, dafür brächte er eine Reihe von Problemen mit sich.

Es wirkt ein bisschen, als hätten sie nur auf eine Gelegenheit gewartet: Angesichts drohender Energieknappheit wegen unsicherer Gaslieferungen aus Russland fordern viele Spitzenpolitiker aus CDU, CSU und FDP derzeit vehement eine Aufkündigung des deutschen Atomausstiegs – zumindest auf Zeit. Unter den Befürwortern einer Laufzeitverlängerung sind etwa FDP-Chef Christian Lindner, der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz und der bayerische CSU-Ministerpräsident Markus Söder.

Es wäre das zweite Mal, dass Deutschland seinen Ausstieg aus der Stromerzeugung in Atomkraftwerken wieder abbläst. Einen entsprechenden Beschluss der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder kassierte die CDU-FDP-Regierung unter Angela Merkel 2010 wieder ein, nur um nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 erneut den Ausstieg zu beschließen. Laut Plan sollen die letzten am Netz verbliebenen Meiler Neckarwestheim 2, Emsland und Isar 2 zum Jahresende abgeschaltet werden.

Debattiert werden nun zwei Dinge: Ein sogenannter Streckbetrieb, mit dem die drei AKW über den gesamten Winter hinweg mit den vorhandenen Brennelementen Strom produzieren könnten, die Gesamtmenge also strecken würden. Oder gleich die Verlängerung der Atomstrom-Erzeugung um mehrere Jahre, möglichweise auch das Wiederhochfahren bereits abgeschalteter Reaktoren. Die Regierungskoalition will dazu einen Beschluss fassen, wenn die Ergebnisse eines „Stresstests“ zur Stromversorgung und dem möglichen Weiterbetrieb vorliegen. Relativ kompliziert ist die Lage offenbar in Bayern, das vor allem Gaskraftwerke und Solaranlagen vorweisen kann, den Windenergieausbau aber seit Jahren blockiert hat.

Endlager-Problem ungelöst, Sicherheitslage unklar

Einige andere EU-Länder setzen bereits wieder verstärkt auf Atomstrom. Belgien will die beiden Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 nun erst 2035 abschalten und seinen Ausstieg damit um zehn Jahre nach hinten verschieben. Frankreich plant – nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine – sogar die dauerhafte Nutzung im großen Stil und den Bau neuer Atomkraftwerke.

Gegen den erneuten Ausstieg vom Ausstieg gibt es in Deutschland jedoch erheblichen Widerstand. In einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sprach sich zum Beispiel jüngst der Präsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base), Wolfram König, dagegen aus. Zum einen entstehe weiterer Atommüll, während für die Endlagerung bislang keine Lösung gefunden wurde. Außerdem wurde für die verbliebenen Reaktoren wegen der geringen Restlaufzeit eine große Sicherheitsüberprüfung ausgesetzt, die nun nachgeholt werden müsste. Ob die Kraftwerke ohne Reparaturen weiterlaufen könnten, steht in den Sternen.

Auch der Nutzen eines Weiterbetriebs ist umstritten, in jedem Fall ist er eng begrenzt. Erdgas wird vor allem in der Industrie und zum Heizen gebraucht, während AKW nur Strom erzeugen. Sie könnten damit Gaskraftwerke ersetzen, allerdings produzieren diese oft gleichzeitig Wärme. Teilweise wird darauf verwiesen, dass sich derzeit viele Haushalte mit Elektro-Heizern eindecken würden, womit mehr Strom im Wärmesektor nötig würde. Allerdings kommt hinzu, dass AKW sehr schwerfällig zu steuern sind, während Gaskraftwerke flexibel hoch- und runtergefahren werden können und daher gut die Stromproduktion erneuerbarer Energien ergänzen können. Kohlekraftwerke sind sehr viel besser in der Lage, diese Rolle zu übernehmen – haben aber natürlich eine desaströse CO2-Bilanz.

Erneuerbaren-Verband warnt vor Verwerfungen am Strommarkt

Auch die von ihren Befürwortern oft behauptete Verlässlichkeit der Atomstromerzeugung, die anders als Wind- und Solarenergie schließlich nicht vom Wetter abhängig sei, ist fraglich. Die Energiemarkt-Analysten von Energy Brainpool haben sich kürzlich die Situation in Frankreich seit 2018 angeschaut, mit dem Ergebnis: Im Vergleich zu Wasser- und Gaskraftwerken waren die französischen AKW sehr viel schlechter verfügbar. Der Durchschnitt der nutzbaren Leistung lag bei 66 gegenüber 90 Prozent. Die Analyse entstand im Auftrag des Ökostromanbieters Green Planet Energy, der Atomkraft dezidiert ablehnt. Dass Frankreich Probleme mit seinen alternden Atommeilern hat, ist aber kein Geheimnis. Bei großer Hitze müssen sie regelmäßig herunterfahren, weil es an ausreichend kaltem Wasser zum Kühlen fehlt.

Einen zeitlich begrenzten Streckbetrieb der drei Rest-Reaktoren in Deutschland können sich – im Gegensatz zu einer dauerhaften Laufzeitverlängerung – auch viele Grünen-Politikerinnen vorstellen. Dass aber auch dies nicht ohne Folgen wäre, betonte jetzt der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). Es drohten „schwerste finanzpolitische Verwerfungen“, da die erzeugten Kilowattstunden bereits wie üblich lange im Voraus verkauft sein könnten, so BEE-Präsidentin Simone Peter.

In diesem Fall müssten die Betreiber die durch eine Streckung entstehenden Lücken bis zum Jahresende durch teure kurzfristige Stromankäufe schließen und würden damit auch die Preise an den Strommärkten nach oben treiben. Der BEE fordert daher, dass die AKW-Betreiber ihre Langfristverträge offenlegen. „Der Leichtsinn, mit dem die Debatte von einigen politischen Akteuren derzeit geführt wird, ist nicht länger tragbar“, kommentierte Peter. Die Koalition müsse am Ausstieg zum Jahresende festhalten.

 

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