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Wasserstoff

„Die Hängepartie der letzten zwei Jahre muss vorbei sein“

Interview: Tim Altegör und Jörg-Rainer Zimmermann, 02.07.20
Die beiden Energieexperten Manfred Fischedick und Felix Matthes begrüßen, dass die Nationale Wasserstoffstrategie endlich vorliegt. Damit kehre eine neue Ehrlichkeit ein bei der Frage nach den nötigen Importmengen. Dennoch seien noch viele Punkte offen.

neue energie: Die lange erwartete nationale Wasserstoffstrategie ist im Juni vorgelegt worden. Wie bewerten Sie den Plan?

Manfred Fischedick: Die Wasserstoffstrategie war tatsächlich überfällig. Seit ungefähr zwei Jahren wurde darüber geredet. Das hat für sehr viele Unsicherheiten gesorgt, jetzt gibt es etwas Klarheit. Inhaltlich ist dabei sicher nicht alles neu. Es finden sich Aspekte, die auch schon im Klimaschutzprogramm stehen oder sogar noch länger diskutiert werden.

ne: An was denken Sie?

Fischedick: Ein Beispiel ist die Förderung im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien, das es schon lange gibt. Ein weiteres ist die Dekarbonisierungsoffensive für die energieintensive Industrie, die im Klimaschutzprogramm enthalten ist, mit Bezug auf den Wasserstoff jetzt aber spezifiziert wird. Insgesamt ist es aber positiv, dass die Strategie bekannte und neue Ansätze bündelt und das klare Signal aussendet, dass Wasserstoff ein wichtiger strategischer, unverzichtbarer Baustein der Energiewende und für den Klimaschutz ist. Gut ist auch, dass auf die nötige internationale Zusammenarbeit hingewiesen wird und zugleich beabsichtigt ist, einen stabilen Heimatmarkt zu etablieren. Das sind wichtige Impulse, die ich mir aber schon früher gewünscht hätte.

ne: Es ist auffällig, dass die Strategie viele Prüfaufträge enthält...

Fischedick: Ja, an einigen Stellen bleibt das Papier unkonkret. Ein Beispiel ist die Quote für strombasierte Kraftstoffe im Flugverkehr oder für grünen Stahl. An bestimmten Punkten ist das Papier auch nebulös formuliert. Ganz auffällig, aus der Genese des Papiers aber verständlich, ist dies beim Thema blauer Wasserstoff. Dort wird herumgedruckst und blauer und auch türkiser Wasserstoff als Option genannt, die quasi von außen, also über den internationalen Markt, aufgezwungen würde. Der Grund dafür ist natürlich, dass sich die Ministerien bei diesen Themen nicht einig gewesen sind. Also wurde diplomatisch formuliert und die anstehenden Auseinandersetzungen wurden vertagt. Auch bei den Gigawatt-Zahlen, die für den Elektrolyse-Ausbau bis 2030 genannt werden, hätte man sich mehr wünschen können. Und wo es sicherlich Nachholbedarf gibt, ist die Frage, wie man die Infrastruktur organisiert, wie Verantwortlichkeiten geregelt werden und wer in dieser Henne-Ei-Problematik vorangehen muss. Für den Wasserstoff in Deutschland ist das ein Schlüsselthema.

ne: Herr Matthes, würden Sie sich der Einschätzung anschließen?

Felix Matthes: Wasserstoff ist aus meiner Sicht die vierte Säule der Energiewende, nach Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und Elektrifizierung. Wir haben jetzt eine Diskussion hinter uns, die teilweise schon Züge eines ausgewachsenen Hypes hatte. An einigen Stellen hatten die Ideen oder Narrative mit der Realität wenig oder nichts mehr zu tun. Von daher finde ich gut, dass jetzt ein Prozess aufgesetzt wurde, in dem die einzelnen Erwartungen und Handlungsfelder systematisch abgearbeitet werden können. Die Strategie geht richtigerweise auf die drei großen Kernbereiche ein. Das sind das Aufkommen im Lande beziehungsweise frei deutscher Grenze, die nationale Verteilung und die Anwendungen. Wir sehen uns einer ersten Phase von drei Jahren gegenüber, in denen diese Themen im Dialog behandelt werden. Das hilft, die Debatte zu rationalisieren. Denn klar ist, bis auf Weiteres bleibt Wasserstoff eine ziemlich teure Veranstaltung.

ne: Deshalb will die Bundesregierung Wasserstoff ja auch stark fördern...

Matthes: Nun ja, für das Jahr 2030 geht die Strategie von einem Bedarf von rund 100 Terawattstunden aus. Mit fünf Gigawatt Elektrolyse-Leistung kommt man in Deutschland auf ungefähr 14 Terawattstunden Wasserstoff. Das heißt, die übrigen 86 Terawattstunden sind Importe. Auf die Vorbedingungen und die Kosten, die dadurch entstehen, geht die Strategie aber viel zu wenig ein. Und dann ist man auch schnell bei der Frage, ob das grüner oder blauer Wasserstoff ist. Wenn man jetzt die sieben Milliarden Euro Fördermittel für Aktivitäten in Deutschland und in der EU betrachtet, dann klingt das viel. Allerdings kostet eine Elektrolyse-Anlage derzeit je Kilowatt rund 700 Euro. Das heißt, fast die Hälfte der Gelder geht in diese eine Position. Dazu kommen aber all die anderen Themen, wie synthetische flüssige Kraftstoffe oder grüner Stahl. Obendrein sind die Ziele hinsichtlich der heimischen Elektrolyse-Kapazitäten ambitioniert. Denn fünf Gigawatt, das bedeutet zusätzliche 20 Terawattstunden regenerativer Strom, die irgendwoher kommen müssen. Das geht nicht nebenbei. Insofern ist vieles noch unklar.


Videokonferenz: Jörg-Rainer Zimmermann und Tim Altegör im Gespräch mit Manfred Fischedick und Felix Matthes (von links oben nach rechts unten). Fischedick ist Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Matthes Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut. Beide sind zudem Mitglieder des Wissenschaftlichen Beraterkreises von neue energie. (Foto: Roland Horn)


ne: Die deutsche Industrie hat lange auf ein Wasserstoff-Förderkonzept gedrängt, da die Technologie anwendungsreif sei. Warum zieht es sich trotzdem?

Matthes: Die Hauptbaustelle ist der grüne Wasserstoff. Der hat auch nur ansatzweise wirtschaftliche Chancen, wenn die Stromeinstandskosten frei Elektrolyseanlage bei unter 40 Euro je Megawattstunde liegen. Darüber hinaus müssen die Investitionskosten für die Elektrolyse um drei Viertel runter. Und auch dann müsste der CO2-Preis bei 150 oder 200 Euro je Tonne liegen, um eine Parität zu Erdgas herzustellen. Dieses ökonomische Umfeld muss geschaffen werden. Berichten aus China zufolge sind dort 300 Euro je Kilowatt möglich, in Europa sind es wie gesagt noch 700.

ne: Hat die deutsche Industrie das Rennen damit verloren?

Matthes: Wir müssen den Markt testen. Solche Kapazitäten, wie sie in dem Papier benannt werden, müssen ausgeschrieben werden. Dann sehen wir, wie erfolgreich die deutsche Industrie sein wird. Ziemlich klar ist, dass die Stromversorgung für die Erzeugung von grünem Wasserstoff in Höhe der genannten 40 Euro je Megawattstunde bei gleichzeitiger, einigermaßen akzeptabler Auslastung neuer Elektrolyseure nur über Offshore-Windstromerzeugung erreicht werden kann. Und es dürfen auf den eingesetzten Strom keine Steuern, Umlagen oder Netzentgelte erhoben werden. Dabei besteht aber die Gefahr, dass ein Spezialregime etabliert wird, dessen Einzelkomponenten auch für viele andere Stromanwendungen erforderlich wären.

ne: Wie sehen Sie das, Herr Fischedick?

Fischedick: Ich stimme mit Felix Matthes in allem überein, was die Verzögerungen anbelangt. Was aber, ganz zu Recht, auch Zeit gekostet hat, war die Diskussion, mit welchen sinnvollen Instrumenten der Einstieg geregelt wird. Wir betreten ja vielfach Neuland. Jetzt hat man sich mit Blick auf die Anwenderseite, also vor allem die Stahlindustrie und die chemische Industrie, für Carbon Contracts for Difference entschieden. Wir werden künftig sehen, ob damit das richtige Instrument gewählt worden ist. Ich meine, ja, zumindest für die Anfangsphase. Es ermöglicht, höhere Kosten auf der Ebene der Investitionen als auch bei den laufenden Kosten abzudecken. Parallel braucht es aber unbedingt den Aufbau von grünen Produktmärkten, die eine Nachfrage nach wasserstoffbasierten Produkten schaffen und damit eine dauerhafte Dynamik in Gang setzen. Entscheidend ist daher, wie es mit dem von Felix Matthes beschriebenen Prozess weitergeht.

ne: In welcher Hinsicht?

Fischedick: Ein Prozess ist nur dann gut, wenn er die entsprechende Geschwindigkeit hat. Die Prüfaufträge müssen zügig abgearbeitet werden, die Hängepartie, die wir in den letzten zwei Jahren gesehen haben, muss vorbei sein. Es ist sehr wichtig, das nötige Tempo zu erreichen und für Verlässlichkeit zu sorgen. Diese 90 bis 110 Terawattstunden Wasserstoff, die für 2030 in dem Papier als Nachfrage stehen, sind eine sehr signifikante Größenordnung. Dafür braucht es in jedem Fall den Aufbau internationaler Bezugsstrukturen, was meist lange dauert. Ich hätte mir daher vorstellen können, dass der heimische Anteil etwas größer angesetzt worden wäre als 14 Terawattstunden. Aber da kann man noch nachjustieren.

Matthes: Mein Punkt vorhin war, dass jetzt nochmal sehr klar wird, wie reformbedürftig die ganzen Steuern, Abgaben und Umlagen sind. Wenn man aber auf die große Lösung wartet, dann wird es nie etwas mit Wasserstoff. Ich glaube, in den Jahren bis 2025 muss man pragmatische Lösungen finden. Wenn etwa die Raffinerie keine EEG-Umlage zahlt, warum sollte es bei der Elektrolyse-Anlage anders sein? Da könnte man vielleicht andocken, statt neue Ausnahmen zu schaffen. Je komplexer Sonderregelungen werden, desto schwerer kriegt man sie wieder weg. Und sie müssen irgendwann weg.

ne: Gibt es Wasserstoff-Anwendungen, die sie ausschließen würden? Die Nutzung in Pkw beispielsweise ist umstritten.

Matthes: Der zentrale Punkt ist die Industrie. Das zweite ist, dass Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die wir im Zuge des Kohleausstiegs bauen, bereit für Wasserstoff sein müssen. Im Verkehrssektor bin ich jenseits des Flugverkehrs sehr skeptisch. Mit Blick auf den Wasserstoff-Pkw bin ich aber tiefenentspannt. Diese Modelle werden kaum noch angeboten, weil die E-Mobilität klar auf dem Vormarsch ist. Wir können auch gerne 200 Wasserstofftankstellen an die deutschen Autobahnen stellen, weil Wasserstoff in einigen Segmenten des Schwerlastverkehrs eine Rolle spielen könnte. Wenn wir aber eine großflächige Infrastruktur für private Pkw-Nutzer aufbauen, laufen wir Gefahr, große Summen Geld zu versenken.

Fischedick: Völlig richtig. In der Industrie gibt es kaum Alternativen und die sind wie etwa die CO2-Abtrennung und Speicherung zumeist umstritten. KWK-Anlagen auf Erdgasbasis müssen perspektivisch auf Wasserstoff umgestellt werden können und einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Beim Güterverkehr und dort vor allem bei der Bahn und im Bereich der Binnenschiffe sehe ich durchaus Anwendungsmöglichkeiten. Auf der Straße finde ich aber nach wie vor die Idee, Oberleitungsstrecken für Lkw an Autobahnen zu errichten, hochinteressant.

Kurz erklärt: Die wichtigsten Begriffe

Die Herkunft von Wasserstoff wird mit Farben bezeichnet, wobei unterschiedliche chemische Verfahren zum Einsatz kommen. Herkömmlicher Wasserstoff ist grau: Er wird meist aus Erdgas erzeugt, indem Methan mit Wasserdampf reagiert. Dabei entstehen große Mengen CO2. Blau ist der Wasserstoff, wenn diese Emissionen größtenteils eingefangen werden, statt in die Atmosphäre zu gelangen. Dafür soll vor allem CCS (Carbon Capture and Storage) sorgen: Das Treibhausgas wird verpresst und unterirdisch eingelagert. Mit diesem Verfahren sind aber noch erhebliche Unsicherheiten verbunden, etwa was Risiken und Kosten anbelangt. Ein anderer Ansatz ist türkiser Wasserstoff, der jedoch noch im Forschungsstadium steckt. Er soll durch die Pyroylse von Methan gewonnen werden, mittels großer Hitze. Statt CO2 entsteht dann als Nebenprodukt fester Kohlenstoff. Grüner Wasserstoff hingegen basiert nicht auf fossilen Quellen, sondern entsteht durch die Elektrolyse von Wasser. Unter Einsatz von Ökostrom wird es in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Um dieses Verfahren in der Industrie zu etablieren, will die Bundesregierung Carbon Contracts for Difference nutzen. Das Prinzip: Liegen die Kosten für die CO2-Vermeidung über den Preisen für Zertifikate im EU-Emissionshandel, kriegt das Unternehmen die Differenz ausgezahlt. Umgekehrt muss es seinerseits Geld überweisen, wenn das Preisverhältnis kippen sollte. (ta)

 

ne: Was sind beim Wasserstoff die Preistreiber?

Matthes: Neben den Stromkosten und den Investitionen für die Elektrolyse ist die Auslastung der Elektrolyse-Anlagen zentral. Richtig gute Auslastungen werden wir vor allem im Ausland sehen und deshalb ganz wesentlich auf Importe angewiesen sein. Allerdings wird in Asien der Wasserstoff wahrscheinlich aus Australien kommen, der für Nordamerika aus Argentinien oder Chile. Das sind OECD-Länder. Wir in Europa hängen, vor allem wegen der hohen Transportkosten, neben Norwegen an Russland, Nordafrika und dem Mittleren Osten. In den letzteren drei Regionen sind Fragen rund um die Nachhaltigkeit und die Kosten sehr komplex. Deshalb müssen wir dort viel investieren, was ich gut finde. Die dortigen Projekte werden aber wesentlich länger dauern, vielerorts muss die Infrastruktur aufgebaut werden. Das unterschätzen einige Politikgestalter hierzulande. Deshalb habe ich auch eine gewisse Sympathie für blauen und vielleicht auch türkisen Wasserstoff. Ohne das werden wir die 2030er-Ziele nicht schaffen.

Fischedick: Diese Art neue Ehrlichkeit finde ich extrem wichtig. Mit dem Papier wird völlig klar, dass der Wasserstoff nicht nur aus Deutschland kommen wird. Vielleicht kommt er irgendwann auch für uns aus Chile. Aber es ist naheliegend, auf die umliegenden Regionen zu blicken. Russland hat Potenziale für grünen, blauen oder türkisen Wasserstoff. Dasselbe gilt für den Mittleren Osten sowie Ost- und Nordafrika. Aber das ist nicht von heute auf morgen umzusetzen. Wie schnell Träume platzen können, haben wir beim Desertec-Projekt gesehen. Der Fehler, dass man direkt in Exportstrukturen statt an die dortige Versorgung denkt, darf sich nicht wiederholen. Es ist deshalb richtig, so vorzugehen wie es die Bundesregierung gerade mit Marokko praktiziert, indem zunächst Pilotprojekte gebaut werden, die auf die heimische Versorgung ausgerichtet sind.

ne: Herr Fischedick, würden Sie sich anschließen, dass es nur mit blauem Wasserstoff funktioniert, wie Herr Matthes sagt? Brauchen wir am Ende also CCS?

Matthes: Um Gerüchte zu vermeiden: es wird natürlich nicht nur mit blauem Wasserstoff gehen. Wir werden aber in der ersten Phase, wenn man wirklich an 100 Terawattstunden im Jahr 2030 glaubt, blauen oder türkisen Wasserstoff und insofern CCS benötigen.

Fischedick: Ich gehe auch davon aus, dass wir eine Mischung sehen werden. Dann ist aber wichtig, dass man Klartext redet und zugibt, dass anfangs wohl mit grauem Wasserstoff begonnen werden muss. Dann wird es Übergangslösungen mit blauem und türkisem Wasserstoff geben. Vorstellbar ist, dass der blaue und türkise Wasserstoff aufgrund der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz aber nicht zwingend in Deutschland hergestellt wird. Importe würden Umweltaspekte allerdings nur verlagern. Insofern ist wichtig, aber unbeantwortet, was mit Übergangslösungen gemeint ist, also welche Technologien sich über welche Zeiträume hinweg lohnen.

ne: Können Sie das näher erläutern?

Fischedick: Es geht darum, wie lange die Übergangsphase dauert, bis sich die Investition amortisiert. Wenn jemand Geld in CO2-Abspaltung, CO2-Transportsysteme und CO2-Speicher steckt, dann muss sich das irgendwann lohnen. Bei derart großen Anlagen dauert das aber. Mit Sicherheit darf die Übergangszeit nicht zu klein sein, sonst investiert keiner. Für sechs, sieben Jahre Betriebszeit wird das keiner machen. Das muss man – glaube ich – sehr transparent machen und in eine stimmige Strategie einbetten. Sonst wird es die Zivilgesellschaft der Politik nicht abkaufen und zwar mit Recht. Es braucht bei derart großen strukturellen Veränderungen eine klare Langfristperspektive mit klaren Meilensteinen. Die müssen kontinuierlich überprüft und nachjustiert werden, wenn sich Rahmenbedingungen unterwegs geändert haben.

Matthes: Wobei das einer der Gründe ist, warum ich glaube, dass wir blauen oder türkisen Wasserstoff hierzulande produzieren sollten, angesichts der nötigen Importe. Besonders wenn man den Bedarf bis zum Jahr 2050 betrachtet, mit einer Größenordnung zwischen 500 bis 1000 Terawattstunden. Wenn man diese gewaltige Infrastruktur aufbaut, wird es schwierig, irgendwann nur noch geringere Mengen abzurufen. Deshalb ist ja die spannende Frage, wie schnell der deutschen Industrie der Skalierungsprozess gelingt. Ein eher modularer Kapazitätsaufbau für blauen oder türkisen Wasserstoff lässt sich in Deutschland ein bisschen besser realisieren. Das vermeidet auch vielbefürchtete Lock-in-Effekte. An anderen Orten geht es gleich um sehr viel großskaligere Investitionen.

ne: Wie stehen Sie zu grauem Wasserstoff?

Matthes: Ich bin ein erklärter Gegner von Strategien, bei denen die ersten Schritte mit Wasserstoff unternommen werden sollen, der eine relativ hohe CO2-Last hat. Ja, blauer Wasserstoff gilt als hochproblematisch für die Akzeptanz. Wenn man aus Angst vor diesen Auseinandersetzungen die Atmosphäre durch grauen Wasserstoff zur Müllhalde macht, haben wir ein richtiges Problem. Im Zweifel dann auch für Wasserstoff insgesamt. Es kann sehr viel mehr Schaden angerichtet werden, wenn wir etwa grauen Wasserstoff mit zweifelhaften Grünstromzertifikaten reinwaschen.

Fischedick: Mein Punkt beim grauen Wasserstoff ist, dass er für die ersten wenigen Jahre vielleicht einen kleinen Beitrag leisten kann, quasi überhaupt erst ermöglicht, die ersten Schritte gehen zu können, ohne große neue Investitionen. Wir haben ja das Problem, dass wir kurzfristig gar nicht hinreichende Kapazitäten für grünen oder blauen Wasserstoff bereitstellen können, um jetzt schon Dynamik zu entfachen. Wir müssen klar sagen, welche Schritte wann getan werden müssen. Dazu gehört für mich zentral auch, dass wir jetzt nicht der Gefahr eines Wasserstoff-Hypes unterliegen sollten. Wasserstoff ist genauso wenig wie alles andere eine Königstechnologie, die alle Probleme der Energiewende lösen wird. Wenn man die Einzelsektoren betrachtet, dann braucht es etwa einen klaren Fokus auf eine echte Verkehrswende, anstatt einfach nur Kraftstoffe auszutauschen. Es geht um tiefgreifende strukturelle Veränderungen. Das ist ein viel größerer Einschnitt, als „bloß“ in eine Wasserstoffwirtschaft einzusteigen.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Den ausführlichen Text lesen Sie in der Ausgabe 07/2020 von neue energie.

 

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