Anzeige
Grundsatzklage

Urteil zu illegalen Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen

Jürgen Lessat, 28.02.23
Das Verwaltungsgericht Schleswig hat bestätigt, dass Abschalteinrichtungen bei VW-Golf-Diesel illegal sind. Bis zu zehn Millionen Pkw sind betroffen, die Konsequenzen für die Fahrzeuge sind derzeit aber noch offen.

Während sich die Jecken in den Karnevalshochburgen am Rhein vergnügten, schrieb das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht nüchtern Justizgeschichte. Nach mündlicher Verhandlung entschied dessen 3. Kammer am Rosenmontag (20. Februar), dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) im Jahr 2016 für verschiedene Diesel-Modelle des VW Golf keine Betriebsfreigabe hätte erteilen dürfen, nachdem zuvor bei einem Software-Update der Motorsteuerung ein sogenanntes Thermofenster bei der Abgasrückführung aufgespielt worden war. Nach Überzeugung des Gerichts handelt es sich dabei um eine illegale Abschalteinrichtung.

Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH), da die Fahrzeuge bei abgeschalteter Abgasreinigung mehr Stickoxide als erlaubt ausstoßen. Neben dem KBA als Beklagter war der Hersteller Volkswagen AG zum Verfahren beigeladen. Im Jahr 2020 sind laut der Europäischen Umweltagentur EEA allein in Deutschland 10.000 Menschen aufgrund von Stickstoffdioxidbelastung vorzeitig gestorben.

Die Entscheidung gilt als Fortsetzung des Diesel-Skandals von 2015, bei dem Autohersteller ebenfalls mit Hilfe von Software-Manipulationen gesetzliche Abgasgrenzwerte umgingen. Nach Aufdeckung des Skandals durch die US-Umweltbehörde EPA ordnete das KBA hierzulande Rückrufe durch die Hersteller an. Anders als in den USA begnügte sich die Flensburger Behörde mit einem von den Herstellern entwickelten Software-Update, um die illegalen Abschalteinrichtungen zu entfernen. Mit den daraufhin erfolgten Freigabebescheiden des KBA durften die Fahrzeuge weiter auf den Straßen unterwegs sein. Aus Sicht der DUH wäre jedoch eine Hardware-Nachrüstung unumgänglich gewesen, deren Kosten damals auf rund 3000 Euro veranschlagt wurden.

Weiterhin keine ausreichende Abgasreinigung

Messungen der DUH bestätigen in der Folge, dass auch nach dem Update zeitweise keine ausreichende Abgasreinigung erfolgte. Demnach legt die neue Software ein Thermofenster fest, bei dem die Abgasrückführungsrate bei einer Umgebungstemperatur von weniger als minus neun Grad Celsius bei null Prozent liegt, zwischen minus neun und elf Grad Celsius bei 85 Prozent verharrt und über elf Grad Celsius ansteigt, um erst ab einer Umgebungstemperatur von über 15 Grad Celsius 100 Prozent zu erreichen. Bei der in Deutschland festgestellten Durchschnittstemperatur, die im Jahr 2018 10,4 Grad Celsius betrug, liegt die Abgasrückführungsrate rechnerisch nur bei 85 Prozent. Daraufhin leitete die DUH im April 2018 ein Musterverfahren gegen den Freigabebescheid des KBA für verschiedene Modelle des VW Golf Plus TDI ein.

Im November 2019 setzte das Verwaltungsgericht Schleswig das Verfahren aus, um zwei Fragen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) entscheiden zu lassen. Zum einen ging es um die Klagebefugnis der DUH. Zum anderen sollte geklärt werden, unter welchen Umständen Abschalteinrichtungen als legal einzustufen sind.

Im November 2022 bestätigte das oberste europäische Gericht, dass anerkannte Umweltvereinigungen Typgenehmigungen für Fahrzeuge, die „mit möglicherweise verbotenen Abschalteinrichtungen ausgestattet sind, vor Gericht anfechten können müssen“. Außerdem erinnerten die Richter an eine frühere Entscheidung, wonach eine Abgasreinigung „in der überwiegenden Zeit ihrer Nutzung auch bei niedrigen Außentemperaturen funktionieren muss“. Abschalteinrichtungen sind demnach nur „ausnahmsweise“ zulässig, um Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden. Auch müssten die Risiken so schwer wiegen, „dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs darstellen können.“ Erlaubt seien sie auch nur, wenn zum Zeitpunkt der Typgenehmigung keine andere technische Lösung verfügbar sei.

Das Schleswiger Gericht sieht diese Bedingungen als nicht erfüllt. Ebenso wertet es die „Taxi-Schaltung“, die nach 900 Sekunden im Stand die Abgasrückführung reduziert, sowie die ab einer Höhe von 1000 Metern reduzierte Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtungen. Die Entscheidung berührt allerdings nur Golf-Modelle, in denen der Motortyp EA 189 der Euro-5-Norm verbaut ist. „Betroffen sind rund 88.000 produzierte Fahrzeuge“, erklärt eine VW-Sprecherin auf Anfrage. Wie viele dieser Fahrzeuge noch tatsächlich auf den Straßen unterwegs sind, sei offen.

Urteil mit grundlegender Bedeutung

Juristen messen dem Urteil grundlegende Bedeutung bei. Denn aktuell sind 118 weitere Verfahren der DUH gegen Freigabebescheide des KBA für Dieselfahrzeuge diverser Hersteller vor dem Schleswiger Gericht anhängig, in denen vergleichbare Entscheidungen zu erwarten sind. „Mittelbar betrifft das bis zu zehn Millionen Autos in Deutschland“, sagt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) fordert Resch, seine Fachbehörde anzuweisen, das Urteil zu akzeptieren und bei allen betroffenen Diesel-Fahrzeugen entweder eine Hardware-Nachrüstung oder die Stilllegung mit Entschädigung der Kunden auf Kosten der Autobauer anzuordnen. Im aktuellen Fall verpflichten die Schleswiger Richter das KBA, „geeignete Maßnahmen zur Herstellung rechtmäßiger Zustände“ zu ergreifen. Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme kann die DUH aus dem Richterspruch nicht ableiten.

Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Das Bundesverkehrsministerium verwies auf Anfrage auf das KBA. Man wolle die Entscheidung nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung prüfen und über weitere Maßnahmen entscheiden, heißt es auf der KBA-Homepage. Konkreter wird die Behörde auf Nachfrage nicht. Ähnlich äußert sich eine Sprecherin des Volkswagen-Konzerns und pocht darauf, dass die vom EuGH formulierten Ausnahmebedingungen für die temperaturabhängige Abgasrückführung erfüllt sind: „Aus Herstellersicht wäre es unverantwortlich gewesen, Fahrzeuge mit solchen Risiken auf den Markt zu bringen.“

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Gericht neben der Berufung auch die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen, um eine höchstrichterliche Klärung zu erzielen. Bis dahin drohten weder behördliche Stilllegungen von Fahrzeugen noch Hardware-Nachrüstungen wegen des Thermofensters, betont die VW-Sprecherin. „Ebenso bleiben zivilrechtliche Klagen, die einen vermeintlichen Schadensersatzanspruch auf das Vorhandensein eines Thermofensters stützen, wie bisher erfolglos.“

Kommentare (0)

Kommentar verfassen»

Kommentar verfassen

Anzeige
Anzeige