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Mobilität

Sprit fürs Klima

Joachim Wille, 03.02.20
Der Gründer des Start-Ups Ineratec, Tim Böltken, und seine Compagnons haben die Produktion von E-Fuels revolutioniert. Mit den synthetischen Kraftstoffen kann der Verkehr auch dort klimafreundlich werden, wo die Nutzung von Batterien kompliziert ist.

Tim Böltken fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. „Eigentlich tut das die ganze Firma“, sagte der Verfahrenstechniker, der vor drei Jahren in Karlsruhe ein Start-up namens Ineratec gegründet hat. „Wenn die Wege nicht zu lang sind, ist das doch das beste Verkehrsmittel.“ Das passt perfekt zu dem Ziel, das sich das Unternehmen gesetzt hat: Einen Beitrag zur Energie- und Verkehrswende leisten. Allerdings geht es nicht etwa um Solarzellen, E-Bikes oder Ride-Sharing-Konzepte – sondern um synthetischen Kraftstoff. Es geht darum, Treibstoffe und chemische Grundmaterialien so herzustellen, dass sie keinen negativen Einfluss mehr auf das Klima haben.

Das „E-Fuel“, das Ineratec herstellt, hat viele Vorteile. Es ist fast schadstofffrei, verbrennt rußarm, und vor allem ist es nicht wie Erdöl ein fossiler Rohstoff, sondern wird aus bereits emittiertem CO2 produziert. Der synthetische Kraftstoff wird aus dem Treibhausgas Kohlendioxid sowie aus Wasserstoff hergestellt, der vorher aus erneuerbarem Strom per Elektrolyse gewonnen wurde. Er ist auf chemischer Ebene handelsüblichem Benzin, Diesel oder Kerosin sehr ähnlich, nur ohne deren giftige Bestandteile wie Benzol. Theoretisch könnten so die herkömmlichen Verbrennungsmotoren und Triebwerke klimaneutral betrieben werden, und die Fahrzeugflotte müsste nicht komplett auf Batterieautos umgestellt werden, sondern nur dort, wo es auch Sinn macht. Böltken glaubt: „Dieser Weg muss unbedingt beschritten werden.“ Denn: Auf lange Sicht werden nicht alle Verkehrsbereiche elektrifizierbar sein, darunter etwa der Flug- und der Schwerlastverkehr.

Power-to-X lautet das Zauberwort. Das heißt: Strom aus erneuerbaren Quellen wird genutzt, um synthetische Gase oder Kraftstoffe zu gewinnen. Die dazu nötigen Verfahren werden bereits seit 2016 in verschiedenen Demonstrationsanlagen weltweit erprobt. Derzeit gibt es einen wahren Hype um das Thema. Die Lufthansa hat ein Pilotprojekt zur Produktion von synthetischem Kerosin gestartet, BP und der Stromkonzern Uniper arbeiten an einem Konzept zur Gewinnung von „grünem“ Wasserstoff und dessen Nutzung in Raffinerien und Shell baut eine Elektrolyse-Anlage, ebenfalls mit dem Ziel, Öko-Kraftstoffe herstellen zu können.

Eine Frage der Größe

Im Prinzip also keine Hexerei. Doch Böltkens Start-up hat etwas geschafft, das die Vision „Herstellung klimafreundlicher Kraftstoffe“ ein ganzes Stück näher an die Realität herangerückt hat. Ineratec ist es mit ihrer innovativen chemischen Reaktortechnologie gelungen, die Power-to-X-Anlagen kompakt und modular zu bauen. „Eine voll funktionsfähiges Modul im industriellen Maßstab, ausgestattet mit kompakten Reaktoren, passt in einen Standard-40-Fuß-Container, wie er weltweit für Transporte benutzt wird. Außerdem können die Anlagen beliebig erweitert werden, wenn mehr Leistung benötigt wird“, erläutert Böltken. Möglich wurde die kompakte Bauweise durch eine spezielle Mikrostruktur-Technologie, die über Jahre am Institut für Mikroverfahrenstechnik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) entwickelt wurde.

Der besondere Vorteil: Eine Produktion für den synthetischen Kraftstoff hochzuziehen ist an geeigneten Standorten und in kürzester Zeit möglich. „Man braucht keinen riesigen Chemiepark, der erst nach zehn oder 15 Jahren fertig ist“, so der Ineratec-Geschäftsführer, der 2018 zusammen mit seinen Mitgründern Philipp Engelkamp und Paolo Piermartini mit dem Deutschen Gründerpreis ausgezeichnet worden ist. „Der Ansatz ist kompatibel mit dem der Energiewende.“ Die Anlagen können zum Beispiel auch genutzt werden, um bisher ungenutzten Ökostrom von Windparks zu speichern, der sonst mangels ausreichender Netzkapazität oder aktuell geringer Nachfrage abgeregelt werden muss.

Das Interesse an den Anlagen ist groß. Pilotanlagen laufen schon in Finnland und Spanien, weitere sind in Brasilien, Kanada und Malaysia geplant. Der nächste große Schritt ist allerdings die erste industrielle Anlage in Megawatt-Größe. Ein Modul soll pro Jahr 400.000 Liter synthetischen Kraftstoff liefern und zusätzlich Wachse für die Industrie. Erste Dieselmengen könnten bereits 2020 an Tankstellen geliefert werden. Dass der Audi-Konzern ein Partner ist, kommt nicht von ungefähr. Der Autobauer betreibt bereits seit einigen Jahren im niedersächsischen Werlte eine Anlage zur Herstellung von synthetischem Methan, das als Autogas getestet wird. Und nun hat er zusammen mit Energieversorgern und Mineralölkonzernen ein Programm zur Markteinführung des neuen Öko-Sprits bis 2025 erarbeitet.

„Die Nachfrage ist riesig.“

Das Megawatt-Modul ist ein wichtiger Schritt für Ineratec. Damit soll gezeigt werden, dass die Kosten für den neuen Kraftstoff schon heute an Standorten stark gesenkt werden können, wo Ökostrom und CO2 günstig zu haben sind. Böltken hält Kosten für den Liter Sprit von deutlich unter zwei Euro für machbar, in fünf Jahren sei wohl auch ein Euro drin. Das wäre zwar ohne Förderung gegenüber herkömmlichem Benzin und Diesel noch nicht konkurrenzfähig, die in der Herstellung 30 bis 40 Cent pro Liter kosten. Dennoch läge der Preis damit deutlich unter den 4,50 Euro, die in einer Studie errechnet wurden und seither immer wieder gegen das Power-to-X-Konzept ins Feld geführt werden. Um den klimafreundlichen Kraftstoff auf den Markt zu bringen, schlägt Böltken vor, ihn auf die von der EU vorgeschriebenen Flottenemissionen anzurechnen, die die Autohersteller einhalten müssen. „Das würde die richtigen Anreize setzen, um den Verkehrssektor zu defossilisieren“, sagt er. Auch bestehende Verbrenner-Autos könnten ihre Emissionen senken und, bei 100 Prozent grünem E-Fuel, sogar klimaneutral fahren.

Natürlich kennt Böltken die Einwände gegen das Konzept. Die Umwandlungsprozesse, um vom Ökostrom zum E-Fuel zu kommen, sind energieintensiv. Laut einer Studie des Thinktanks Agora Energiewende braucht ein Batterieauto für 100 Kilometer rund 15 Kilowattstunden, ein Auto, das mit Öko-Sprit fährt, hingegen unter dem Strich 103, also fast sieben Mal so viel. Zudem gibt es hierzulande die großen überschüssigen Mengen Ökostrom noch gar nicht, die für eine kostengünstige Produktion von E-Fuels nötig wären. Doch das sei zu eng gedacht, meint Böltken. Die Kraftstoffe könne man zum Beispiel auch im Nahen Osten oder in Nordafrika herstellen, wo Ökostrom aus neuen Solarkraftwerken inzwischen extrem günstig ist, und ihn dann importieren. Die Idee, Deutschland völlig energieautark zu machen, werde bei gegenwärtigem und zukünftigem Energieverbrauch ohnehin nicht funktionieren.

Böltken ist froh, vor fünf Jahren seinen sicheren Job bei einer BASF-Tochter für das Wagnis der Ineratec-Gründung aufgegeben zu haben. „Die Nachfrage nach unserer Technologie ist riesig.“ Sorge hat er nur, dass ausgerechnet Deutschland bei der Markeinführung ein Nachzügler wird. „Für eine erfolgreiche Energiewende darf nicht nur ein Technologieansatz verfolgt werden.“

 

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