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Interview

„Natürlich kann man innerdeutsche Flüge für kommerzielle Zwecke abschaffen“

Interview: Astrid Dähn und Jörg-Rainer Zimmermann, 10.05.19
…findet der Soziologe und Mobilitätsexperte Andreas Knie. Er ist überzeugt: Die Bürger sind zu mehr bereit, als die verantwortlichen Politiker glauben.

neue energie: Vergangenes Jahr ist mit Ryanair erstmals eine Fluggesellschaft unter die zehn größten CO2-Emittenten gekommen. Die Rangliste haben bislang Kohlekraftwerke angeführt. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Andreas Knie: Global und summarisch betrachtet, hat der Flugverkehr einen noch eher kleinen Anteil an den CO2-Emissionen. In den CO2-Bilanzen der einzelnen Menschen wirkt sich die Vielfliegerei im Verhältnis aber dramatisch aus. Wenn unser Gemeinwesen daran interessiert ist, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, dann muss der Flugverkehr radikal eingedämmt werden. Dass jetzt einzelne Fluglinien hinsichtlich ihrer CO2-Emissionen auffallen, ist aufgrund der Niedrigpreise nur natürlich. Berlin-München gibt es bei der Lufthansa für 38 Euro. Mit der Bahn kostet das schnell hundert Euro mehr. Solange das so ist, werden die Menschen fliegen.

ne: Das geht nicht zuletzt, weil Kerosin nicht besteuert wird …

Knie: Richtig. Bei innerdeutschen Flügen haben wir mittlerweile zwar eine Mehrwertsteuer. Aber international nicht. Darüber hinaus wird die Infrastruktur subventioniert. Wenn Sie in Berlin eine Fluglinie gründen wollten, um Nonstop-Flüge nach Nordamerika anzubieten, würden Sie vom Senat dafür Geld bekommen. Dann geht es auch ganz klassisch um Kampfpreise. Die Lufthansa hat die Hälfte ihrer Kunden auf der Linie München-Berlin verloren – und reagiert darauf, wie das in der Marktwirtschaft üblich ist. Verkehrswissenschaftler weltweit werben dafür, dass alle externen Kosten, die von diesen Emissionen verursacht werden, auch die der Umwelt- und Gesundheitsschäden, in die Preise eingerechnet werden müssen. Hätte sich die Politik auf realistische CO2-Preise geeinigt, wäre das Fliegen automatisch deutlich teurer als der Bahnverkehr.

ne: Aber ginge das in einem nationalen Alleingang?

Knie: Natürlich kann man innerdeutsche Flüge für kommerzielle Zwecke abschaffen. Zudem könnte die Bundesregierung bei der EU massiv Druck machen. Das geschieht ja bei anderen Themen auch. Deutschland hat etwa die Quote für Elektroautos verhindert. Wer die EU-Politik verfolgt, weiß, dass in Brüssel nichts geschieht, was Deutschland nicht will. Wir könnten also selbstverständlich fordern, dass in Europa eine Kerosinsteuer eingeführt wird.

ne: Sind Sie da sicher?

Knie: Absolut. Es heißt ja immer, dass der Bürger seine Freiheit will, seinen Diesel fahren will, fliegen will und so weiter. Aber wir Sozialwissenschaftler sagen schon lange, dass der Bürger das eben gerade nicht unbedingt will. Er wird es allerdings machen, solange er darf. Siehe das Rauchverbot in der Öffentlichkeit. Anfangs gab es Widerstände, aber als es da war, haben alle schlagartig aufgehört und oft auch Einsicht gezeigt. So wäre es auch beim Fliegen. Stattdessen wird jedoch behauptet, dass es keine globale Abmachung dazu gibt und deshalb nicht möglich ist. Auf Basis der Pariser Klimaverträge könnte man das schnell ändern. 1944 wurde das Chicagoer Abkommen* unterzeichnet. Damals ging es auch um die Idee, dass Fliegen der Völkerverständigung helfen kann. Jetzt könnte man zusätzlich beschließen, dass Kerosin international besteuert wird. Das wäre ein Anfang.

(*Ein Vertrag, um den weltweiten Luftverkehr einheitlich zu regeln)

ne: Würde ein innerdeutsches Flugverbot nicht zu einem Aufschrei führen?

Knie: Glaube ich nicht. Diese Debatte wird ja in Europa schon intensiv geführt. In Skandinavien etwa, aber auch in Frankreich und in der Schweiz. Interessanterweise sind auch Fluggesellschaften beteiligt. Die Lufthansa etwa hat das Problem, dass nur drei Knotenpunkte für Langstreckenflüge in Deutschland gut laufen. Das sind München, Frankfurt und Düsseldorf. Die Zubringerflüge sind eigentlich ein Verlustgeschäft. Die Kunden könnten also mit Zügen zu ihren Auslandsflügen kommen. Wirklich protestieren würden die kleinen Flughafenbetreiber. Lange Zeit dachte man in jedem Bundesland, in jeder Stadt, dass ohne eigenen Flughafen nichts geht. Mittlerweile ändert sich das. Im Grunde müssten sich die Fluggäste nur ein bisschen umstellen. Das würde am Ende nicht nur der Umwelt helfen, sondern auch zu mehr Lebensqualität führen.

ne: Wie ist das mit internationalen Flügen?

Knie: Die kann man nicht komplett streichen. Wie gesagt, das Fliegen hilft wirklich der Völkerverständigung. Wer sich gegenseitig kennt, der führt in der Regel keinen Krieg. Das ist wichtig. Deshalb haben wir vorgeschlagen, ein Kontingent einzuführen: drei Flugpaare pro Jahr pro Person.

ne: FDP-Chef Lindner hat sich darüber lustig gemacht …

Knie: Ja sicher, aber ich bleibe dabei. Drei Flugpaare, drei Mal hin und zurück. Das wäre gar keine echte Einschränkung. Statistisch betrachtet fliegt jeder von uns sehr viel weniger. Deshalb finden die Menschen es ja auch ungerecht, wenn ihnen Politiker als echte Vielflieger verbieten, Diesel zu fahren. Bei Kontingenten wäre das anders. Wer wirklich öfter fliegen muss, kann sich dann Flugrechte von anderen besorgen. Das wäre auch gerechter. Für solche Ansätze sehe ich sehr viel mehr Akzeptanz bei den Menschen als beim Verzicht auf ihr eigenes Auto.

ne: Sie hatten anfangs gesagt, der Bürger definiert seine Freiheit nicht unbedingt darüber, seinen Diesel fahren zu können. Der Verzicht aufs eigene Auto scheint allerdings doch ein wunder Punkt zu sein, wie Sie gerade anmerken. Wie kommt man an die Identifikation mit dem Auto ran, wo der Autor Florian Illies doch sogar eine ganze Generation nach dem VW Golf benannt hat …

Knie: Viel hängt von den Lebensumständen ab. Deutschland ist eigentlich zersiedelt und eher ländlich geprägt. Wenn es um die Wahl des Wohnorts oder der Arbeitsstätte geht, wird automatisch das Auto mitgedacht. Wenn ich jetzt als Berliner Soziologe sage, passt mal auf, damit ist nun Schluss, dann kommt das nicht gut an. Allerdings stelle ich fest, dass es einen Wandel beim Wunsch nach einem eigenen Auto gibt. Früher war es normal, dass eine Familie vier Autos hatte. Oft reichen aber zwei Fahrzeuge aus. Wir haben beobachtet, dass sich die Menschen immer öfter von der Vorstellung lösen, dass jeder von allem sein eigenes, privates Exemplar besitzen muss.

ne: Das Sharing-Prinzip ist auf dem Vormarsch …

Knie: Wir müssen erkennen, dass es bislang um ein Lebensmodell ging, das aus einer Zeit stammt, in der man dachte, dass jeder ein Auto braucht, weil das Freiheitsgrade schafft. Jeder konnte bei diesem wunderbaren Programm mitmachen. Die Reichen mit großen Autos, die Mittelschicht mit der Mittelklasse und sogar die sozial Schwächeren bekamen etwas, mit dem sie fahren konnten. Man konnte sich gesellschaftlich differenzieren, über die Zahl der Zylinder. Dafür wurden die Straßen gebaut. Ein Modell, das wir aus den USA übernommen haben, das aber seit 25 Jahren in der Krise steckt. Was sich vielleicht auch daran zeigt, dass heute viele Jugendliche keine Ahnung mehr von Automarken haben.

ne: Man kann ja auch kaum noch selbst am Auto schrauben …

Knie: Schon lange nicht mehr. In meiner Generation ist man mit Begriffen wie Drehmoment, Beschleunigung oder Tachostand groß geworden. Erwachsene Männer haben sich früher bei jeder Gelegenheit über Autos unterhalten. Das hat sich geändert. Jüngst war ich mal bei einer Sitzung des Verbands der Automobilindustrie. In den Pausen fiel mir auf, dass sich die Teilnehmer nicht mehr über ihre Produkte unterhielten. Viele Modelle unterscheiden sich ja bestenfalls noch geringfügig. Und das Auto ist auch nicht mehr das Statussymbol, das es noch vor 30, 40 Jahren war. Ich bin ganz sicher, unsere Mobilität wird sich komplett ändern, gerade auch durch die Digitalisierung.

ne: Das heißt, Politik und Industrie schätzen ihre Wähler oder Kunden falsch ein?

Knie: Die Industrie weiß das alles, nur eben die Generation Winterkorn nicht. Man muss nur schauen, was in China los ist. Das Land ist dabei, mit weniger Autos mehr Mobilität zu schaffen. Dessen ist man sich auch hierzulande in den Konzernen bewusst. Das Problem ist, dass die Politik immer noch glaubt, Menschen wie früher vor sich zu haben. Und Verkehrsminister Scheuer denkt, er müsse diese Menschen vor Veränderungen retten, auch die gesamte Autoindustrie und die Jobs dort. Er kommt gar nicht auf den Gedanken, dass er sie vernichtet, indem er sie schützt. Zu viel Schutz ist meistens schlecht. Und bei den Autofahrern wird von der Einschränkung von Freiheitsrechten geredet. Aber Verkehr ist voller Einschränkungen. Und das ist auch gut so, bestes Beispiel ist die Ampel. Ich denke, das erklärt auch ein bisschen, warum die Grünen wieder viel Aufwind haben. Die Menschen wissen einfach, dass es so, wie wir leben, auf Dauer nicht gehen wird.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Das komplette Gespräch ist in der Ausgabe 05/2019 von neue energie erschienen. Darin lesen Sie unter anderem, wie Andreas Knie die Situation der deutschen Autoindustrie beurteilt und weshalb er sich für den Verkehrssektor eine Art Trojaner wünscht.


Andreas Knie
ist Professor für Soziologie an der TU Berlin. Seit 2017 leitet er am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) die Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik. Zudem ist er seit 2010 Mitglied der Arbeitsgruppe Rahmenbedingungen der Nationalen Plattform Elektromobilität.

 

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