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Verkehrswende

Hoffen auf den Wunder-Diesel

Joachim Wille, 27.02.18
Statt auf Batterien umzusteigen, würden die Autokonzerne am liebsten ihre Verbrennungsmotoren mit Ökosprit betanken. Dafür bräuchte es allerdings eine Menge Wind- und Solarstrom. Experten sind uneins, wie weit der Ansatz trägt.

Bringt der „e-Diesel“ die Rettung für den Verbrennungsmotor? Der Autokonzern Audi forscht an diesem neuartigen Ökosprit, der klimafreundlich und sauber verbrennen soll. Es ist die zweite Stufe in seinem Konzept für die synthetischen Kraftstoffe, die als Energiequelle Ökostrom nutzen. Bereits seit 2013 läuft im norddeutschen Werlte eine Versuchsanlage des Autokonzerns, die mithilfe von Windkraft per Elektrolyse Wasserstoff und daraus synthetisches Ökogas herstellt, das wie Erdgas in Verbrennungsmotoren benutzt werden kann. In diesem Jahr geht Audi nun einen Schritt weiter. Der Hersteller baut eine weitere Anlage, diesmal in der Schweiz, bei der Wasserkraft die Energie für die Herstellung eines synthetischen Diesel-Kraftstoffs liefert, der wie ganz normaler Sprit getankt werden kann.

Doch nicht nur die Ingolstädter VW-Tochter arbeitet an Verfahren, aus Ökostrom gasförmige oder flüssige „Green Powerfuels“ herzustellen. Insgesamt sind in Deutschland bereits rund 30 Demonstrations- und Pilotanlagen in Betrieb, meist gebaut von Forschungseinrichtungen oder Energieunternehmen. Für die Autokonzerne wäre der „e-Diesel“ ein bequemer Ausweg. Sie würden die teure Umrüstung ihrer Flotten auf Batterieautos sparen, wenn der neue Kraftstoff flächendeckend eingesetzt werden könnte. Daimler-Chef Dieter Zetsche zum Beispiel betont, man dürfe nicht alleine auf Strom-Autos setzten, sondern müsse „technologieoffen“ bleiben.

Die Berliner Thinktanks Agora Energiewende und Agora Verkehrswende warnen nun jedoch davor, allzu viel Hoffnung in diese Strategie zu setzen. Die Erwartung, dass die Powerfuels für die Pkw quasi eine Brücke ins Zeitalter des klimafreundlichen Verkehrs bilden könnten, ist danach unrealistisch – wegen der hohen Umwandlungsverluste bei der Herstellung des Ökosprits. „Ein mit synthetischem Sprit fahrendes Verbrenner-Fahrzeug benötigt für die gleiche Strecke rund fünfmal so viel Strom als Ausgangsprodukt wie ein batteriegetriebenes Elektroauto“, erläutert der Direktor der Agora Verkehrswende, Christian Hochfeld.

Hohe Verluste bei der Umwandlung

Grundsätzlich halten die Thinktanks die Entwicklung der „Power to Gas“- und „Power to Liquid“-Verfahren für unbedingt notwendig. Trotz der noch hohen Kosten müsse „frühzeitig und kontinuierlich“ in den Bau von Erzeugungsanlagen investiert werden, fordern sie. Die grünen Kraftstoffe würden künftig in mehreren für die Energiewende zentralen Bereichen benötigt. Einerseits geht es darum, die schwankende Produktion von Wind- und Solarstrom auszugleichen, indem zu Überschusszeiten gespeicherte Öko-Kraftstoffe bei geringem Angebot in Kraftwerken wieder „verstromt“ werden.

Anderseits werden die Powerfuels gebraucht, um die möglichst komplette „Dekarbonisierung“ von Industrie, Wärme und Verkehr zu erreichen. Allerdings, so die Experten: Überall dort, wo der grüne Strom direkt eingesetzt werden kann – also etwa für Wärmepumpen zur Hausheizung oder eben für Batterieautos – müsse das den Vorzug haben. Agora Energiewende-Chef Patrik Graichen: „Es wird immer günstiger sein als die Nutzung synthetischer Kraftstoffe“, die Powerfuels sollten nur sehr gezielt eingesetzt werden – „wie ein Joker beim Kartenspiel“.

Für den Verkehrssektor bedeutet das laut Agora, dass der Ökosprit vor allem im Flug- und Schiffsverkehr eingesetzt werden sollte, wo Batterielösungen wegen des großen Gewichts und der vergleichsweise niedrigen Energiedichte keinen Sinn machen. Eine Nutzung im normalen Verbrenner-Pkw, von dem zur Zeit über 45 Millionen auf den deutschen Straßen rollen, wäre ineffizient. Die Experten rechnen vor: Von ursprünglich 100 Kilowattstunden Strom könnten in einem Verbrenner-Pkw nur 13 Kilowattstunden unmittelbar für die Fortbewegung verwendet werden. Zudem sei der Ökodiesel derzeit mit 20 bis 30 Cent pro Kilowattstunde noch fünfmal so teuer wie fossiler Sprit. Hochfeld: „Synthetischer Kraftstoff ist deshalb alles andere als ein ,Wunderdiesel´.“


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Deutlich positiver als die Agora-Experten sieht die Deutsche Energieagentur (Dena) den Einsatz der synthetischen Kraft- und Brennstoffe. Sie verweist auf eine eigene Studie, in der die Nutzung der Powerfuels im EU-Verkehr untersucht wurde: Demnach würden „selbst in einem Szenario, das stark auf batterieelektrische Antriebe setzt, mehr als 70 Prozent des Endenergiebedarfs durch Powerfuels gedeckt, vor allem im Flug-, Schiffs- und Güterverkehr.“ Hierbei schlägt zu Buche, dass die Dena einen hohen Verbrauch der neuen Kraftstoffe im Straßengüterverkehr annimmt. Er ist heute für ein Drittel des gesamten Spritverbrauchs im Verkehr verantwortlich. Besonders bei den großen Lkw mit hoher Laufleistung stößt eine Umstellung auf Batterieantrieb wegen des hohen Gewichts an Grenzen.

Doch auch im Gebäudebereich – bei Heizung und Warmwasser – misst die Dena den synthetischen Brennstoffen eine wichtige Rolle bei. Bisher gehen Klimaexperten davon aus, dass pro Jahr mindestens zwei Prozent der Gebäude durchgreifend energetisch mit besserer Anlagentechnik und Wärmedämmung saniert werden müssen, um die Klimaschutz-Ziele zu schaffen. Diese Rate wird jedoch seit Jahren nicht erreicht, sondern allenfalls die Hälfte davon. Ein stärkerer Einsatz von klimaneutralem Ökogas und -heizöl könnte helfen, so die Dena, aus diesem Dilemma herauszukommen. Eine Sanierungsrate von 1,4 Prozent könnte dann bereits reichen.

Einig sind sich die Agoras und Dena in einem Punkt: Die zusätzlichen Ökostrom-Mengen, die für die Powerfuels gebraucht werden, können nicht komplett auf deutschem Boden hergestellt werden, wo bereits der jetzt geplante Ausbau von Wind- und Solarenergie Probleme macht. Der Blick richtet sich auf Länder wie Marokko oder Saudi-Arabien, in denen Powerfuels dank der hohen Sonneneinstrahlung preiswerter herzustellen sind, aber auch auf zusätzliche Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee. Die Kosten für importiertes synthetisches Gas aus Nordafrika könnten bis 2050 auf zehn Cent pro Kilowattstunde fallen, steht im Agora-Bericht. Bei der Dena heißt es dazu, man sei dabei, einen internationalen Austausch zur Entwicklung eines Marktes für synthetische Kraft- und Brennstoffe auf den Weg zu bringen.

Synthetische Kraftstoffe

Synthetische Kraft- und Brennstoffe werden mithilfe von Strom erzeugt. Dazu wird per Elektrolyse zunächst Wasserstoff und anschließend durch Hinzufügen von Kohlenstoffmolekülen Methan (Hauptbestandteil von Erdgas) oder flüssiger Kraftstoff erzeugt. Im Vergleich zur direkten Stromnutzung liegt ihr Vorteil in der hohen Energiedichte, ihrer guten Speicherfähigkeit und der zum Teil bereits vorhandenen Verteil-Infrastruktur. Allerdings ist die Produktion mit hohen Energie-Umwandlungsverlusten verbunden.

Kommentare (1)

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  • 08.03.18 - 18:00, Bodo Bock

    Mag ja sein, dass von 100 kWh nur 13 kWh für die Fortbewegung genutzt werden können, aber was ist mit den anderen 87 kWh?
    Da Energie nicht "verbraucht" werden kann, ist eine reine Betrachtung des Strompfades nicht sinnvoll.
    Sicherlich kann im Fahrzeug entstehende Wärme nicht sinnvoll genutzt werden, aber die Wärme, die bei der Erzeugung des Kraftstoffs entsteht, kann sehr wohl genutzt werden und sollte bei Debatten um Wirkungsgrade auch berücksichtigt werden.

    Des Weiteren haben wir bereits Verkehrswege mit hervorragender Ladeinfrastruktur.
    Die Schiene!
    Mir ist völlig unverständlich warum immer nur vom autonomen Fahren auf der Straße geredet wird. Das autonome Fahren auf der Schiene ist wesentlich einfacher, da weniger komplex, umzusetzen.

    Man stelle sich mal vor, im Hafen wird ein Container direkt auf ein autonom fahrendes Fahrzeug geladen und dieses fährt selbstständig bis zum Ziel mit Gleisanschluss.
    Ein Traum für jeden Spediteur und deren Kunden.

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