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IPCC-Bericht

„Jetzt oder nie“

Joachim Wille, 05.04.22
Der Weltklimarat sieht noch eine Chance, das 1,5-Grad-Limit bei der globalen Erderhitzung zu halten. Die globalen Treibhausgas-Emissionen müssten dafür bis 2030 fast halbiert werden.

Die Erderhitzung soll möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden, so fordert es der Pariser Klimavertrag. Dies ist nach Einschätzung des Weltklimarats IPCC immer noch möglich, allerdings ist dafür eine sehr schnelle und radikale Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes nötig. Die globalen Emissionen müssten „spätestens 2025 ihren Höchststand erreichen und bis 2030 um 43 Prozent gesenkt werden“, stellte das UN-Forschungsgremium am Montag fest. Um wenigstens das Zwei-Grad-Limit zu halten, sei bis dahin eine CO2-Minderung um 25 Prozent nötig.

Der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee wählte bei der Vorlage des dritten Teils des neuen Klima-Sachstandsberichts dramatische Worte: „Wir befinden uns an einem Scheideweg. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern.“ Und der Ko-Vorsitzende der zuständigen IPCC-Arbeitsgruppe III, Jim Skea, ergänzte: „Wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen wollen, heißt es jetzt oder nie.“ Ohne sofortige und tiefgreifende Emissionssenkungen in allen Sektoren werde dies unmöglich sein.

CO2-Emissionen steigen wieder

Der Korridor von 1,5 bis zwei Grad wurde im Paris-Vertrag 2015 gewählt, um eine dramatische Zuspitzung des Klimawandels zu verhindern. Oberhalb dieser Grenze drohen Kippelemente im Klimasystem irreversibel ausgelöst zu werden, wie etwa das Austrocknen des Amazonas-Regenwalds oder das komplette Abschmelzen des antarktischen Eisschilds. Inzwischen halten viele Expertinnen für entscheidend, das niedrigere 1,5-Grad-Limit zu halten.

Der aktuelle Report ist der sechste dieser grundlegenden IPCC-Berichte, die seit 1990 alle fünf, sechs Jahre erscheinen. Sein dritter Teil behandelt die Möglichkeiten, die Klimaveränderungen noch zu bremsen. In dem Bericht macht der Klimarat klar, dass die durchschnittlichen jährlichen globalen Treibhausgas-Emissionen im letzten Jahrzehnt (2010 bis 2019) „so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit“ waren. Allerdings habe sich die Wachstumsrate verlangsamt. 2020 kam es durch die Corona-Lockdowns kurzfristig zu einem spürbaren Rückgang der Emissionen um rund sechs Prozent. Inzwischen steigt der CO2-Ausstoß aber wieder.

In den 2050ern müsste die Welt klimaneutral sein

Laut dem Expertengremium ist es freilich selbst bei der für das 1,5-Grad-Limit geforderten radikalen CO2-Minderung „fast unvermeidlich, dass wir diese Temperaturschwelle vorübergehend überschreiten“. Sie werde dann aber bis zum Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich wieder unterschritten werden. Die globale Temperatur werde sich stabilisieren, wenn die CO2-Emissionen weltweit netto null erreichen. Für 1,5 Grad müsse dies Anfang der 2050er erreicht sein, für zwei Grad Anfang der 2070er Jahre.

IPCC-Chef Lee betonte: „Wir haben die Instrumente und das Know-how, um die Erwärmung zu begrenzen.“ Die Klimaschutzmaßnahmen, die in vielen Ländern ergriffen würden, machten ihm Mut. Es gebe politische Maßnahmen, Vorschriften und Marktinstrumente, die sich als wirksam erweisen. „Werden diese in größerem Umfang und auf breiterer und gerechterer Basis angewandt, können sie zu tiefgreifenden Emissionssenkungen beitragen und Innovationen anregen.“

Ökostrom, Kreislaufwirtschaft, Wasserstoff - lange Liste mit Lösungen

Tatsächlich ist es laut der IPCC-Analyse in allen Sektoren, von Energie über Industrie bis zu Haushalten möglich, die Emissionen bis 2030 „mindestens zu halbieren“. Die Begrenzung der globalen Erwärmung erfordert einen grundlegenden Wandel im Energiesektor. Erreichbar sei das durch ein deutliches Herunterfahren der fossilen Brennstoffe, eine verbesserte Energieeffizienz, die Elektrifizierung etwa von Gebäudeheizung und Antrieben im Verkehr sowie die Nutzung alternativer Brennstoffe wie Wasserstoff. Der Klimarat betont in diesem Zusammenhang, dass die Kosten für Solar- und Windenergie sowie für Speicherbatterien seit 2010 um bis zu 85 Prozent gesunken seien.

Als weitere Maßnahmen benennt der Report einen klimafreundlichen Umbau der Städte und Ballungsgebiete. Stichworte sind hier: kompakte Städte mit kurzen Wegen, Passivhäuser, Elektrifizierung des Verkehrs, mehr Grünflächen für eine höhere CO2-Speicherung. Um die Emissionen in der Industrie zu verringern ist laut IPCC eine Kreislaufwirtschaft mit effizienterer Nutzung von Materialien, Wiederverwendung und Recycling nötig. Bei den Grundstoffen, einschließlich Stahl, Baumaterialien und Chemikalien, seien neue Verfahren in der Entwicklung, welche die Emissionen senken, durch Umstellung auf Öko-Strom, Wasserstoff und, wo nötig, CO2-Abscheidung.

Weiterer wichtiger Punkt ist laut IPCC, die Land- und Forstwirtschaft so umzugestalten, dass sie in großem Umfang zur Emissionsminderung beitragen und CO2 speichern. Allerdings könne die verbesserte Landnutzung nicht zu geringe Emissionsminderungen in anderen Sektoren ausgleichen, warnen die Forschenden.

Ungewöhnlich lange Beratungen

Der ganze Umbau erfordert laut dem Klimarat deutlich höhere Investitionen, als sie bisher getätigt werden. Sie müssten bis 2030 auf das Drei- bis Sechsfache ansteigen, heißt es in dem Report. Allerdings sei „weltweit genügend Kapital und Liquidität vorhanden, um Investitionslücken zu schließen“. Dies setze jedoch ein klares Signal der Regierungen und der internationalen Gemeinschaft voraus, mahnt der IPCC.

Die abschließenden Beratungen über den Report hatten sich am Wochenende um mehr als 48 Stunden verzögert. Bei den Beratungen wird die Zusammenfassung des Berichts Zeile für Zeile durchgegangen und verabschiedet. Diesmal dauerte das ungewöhnlich lange. Beobachter vermuteten, dass dies auch unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine geschah, der ein Schlaglicht auf die große Abhängigkeit vieler Länder von fossilen Energieträgern wirft. „Die Klimakrise beschleunigt sich und die fossilen Energieträger sind die Hauptursache“, erklärte Nikki Reisch von der NGO Center for International Environmental Law. „Ein Bericht zur Verringerung der Emissionen, der diesen Tatbestand nicht unterstreicht, würde die Wissenschaft leugnen, auf der sich der IPCC gründet.“

 

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