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Weltklimabericht

„Das Zeitfenster schließt sich“

Joachim Wille, 01.03.22
Der Weltklimarat warnt in seinem aktuellen Sachstandsbericht vor einer Zuspitzung der Klimakrise, wenn nicht schnell gehandelt wird. Entscheidend seien die nächsten zehn Jahre. Die Hälfte der Menschheit sei schon jetzt stark betroffen.

Der Weltklimarat (IPCC) warnt in seinem neuesten Report davor, dass die Gefahrenschwelle der globalen Erwärmung um 1,5 Grad gegenüber vorindustrieller Zeit bereits in den nächsten zwei Jahrzehnten überschritten werden könnte. Bereits jetzt führe dies zu gefährlichen Veränderungen in der Natur, und Milliarden Menschen litten immer stärker darunter. Das „Zeitfenster“, um die schwersten Schäden durch ein Absinken der Emissionen noch zu verhindern, schließe sich schnell.

Der IPCC gibt aber auch einen positiven Ausblick: Mit einer sofort beginnenden CO2-Trendwende und guter Anpassung ließen sich die schlimmsten Gefahren noch abwenden. Dazu müsse aber mehr Geld bereitgestellt werden, und es brauche besseres Verständnis der Wechselwirkungen zwischen dem Klima, Mensch und Natur. Bisher täten die Regierungen noch lange nicht genug, um die Lage zu entschärfen.

Laut dem Bericht lebt bereits heute knapp die Hälfte der Weltbevölkerung in Regionen, die durch den Klimawandel hoch verwundbar sind, nämlich 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen. Am stärksten betroffen sind laut dem IPCC „Menschen und Ökosysteme, die am wenigsten in der Lage sind, damit umzugehen“, vor allem im globalen Süden. Das erhöhe Armut und Ungleichheit und werde mehr Menschen zur Migration zwingen, die in ihrer Heimat kein Auskommen mehr haben.

Thema des aktuellen Reports sind die Folgen der Klimaerwärmung und die Möglichkeiten, sich daran anzupassen. Es handelt sich um den zweiten Teil des sechsten „Sachstandberichts“ des IPCC, ein dritter Teil zu den politischen, wirtschaftlichen und technologischen Möglichkeiten zur CO2-Minderung folgt Anfang April. Für die aktuelle Studie haben 270 Autoren rund 34.000 Studien ausgewertet und auf rund 1000 Seiten zusammengefasst.

Extremwettereignisse haben deutlich zugenommen

Bisher hat sich die Erde um etwa 1,1 Grad gegenüber der Zeit um 1850 erwärmt. Klimaforscher:innen haben nachgewiesen, dass Extremwettereignisse wie Hitzewellen, Dürren und Überflutungen vor allem in den letzten Jahrzehnten deutlich häufiger geworden sind. Die Folgen zeigen sich in vielen Weltregionen: verheerende Waldbrände wie im Mittelmeerraum und im Westen der USA, Hitzewellen wie in Sibirien, Überschwemmungen wie Deutschland im Juli 2021.

Der neue Report listet nun insgesamt 127 „Schlüsselrisiken“ auf, darunter die Zunahme der Zahl von Hitzetoten, der Anstieg von Schäden durch Stürme und Überflutungen sowie die verminderte Bewohnbarkeit, etwa in Küstenzonen wegen des Meeresspiegel-Anstiegs. Die Risikoschwellen sind dabei gegenüber der Bewertung im fünften IPCC-Sachstandsbericht, der 2014/15 herauskam, gesunken. Das heißt: Sie werden schon bei einer jeweils geringeren Erderwärmung erreicht, wie einer der führenden IPCC-Experten, Hans-Otto Pörtner, hervorhob.

Der Bericht stellt fest, dass eine an das veränderte Klima angepasste Entwicklung bereits beim derzeitigen Erwärmungsniveau eine Herausforderung darstellte. Sie werde noch schwieriger, wenn die 1,5 Grad überschritten werden. „In einigen Regionen wird sie unmöglich sein, wenn die globale Erwärmung zwei Grad Celsius übersteigt“, so der IPCC, was bedeutet, dass diese Regionen dann unbewohnbar werden. Allerdings wären die Folgen auch in weniger stark betroffenen Zonen einschneidend. So erwartet der Klimarat auch für Europa „substanzielle Verluste in der landwirtschaftlichen Produktion im 21. Jahrhundert“.

Der IPCC betont stark die Bedeutung des Naturschutzes für die Klimastabilisierung. Derzeit nähmen die Ökosysteme noch mehr Treibhausgase auf als sie selbst verursachten. Das ändere sich aber, wenn Wald abgeholzt wird, Moore trockengelegt werden oder der arktische Permafrost schmilzt. „Dieser und andere Trends können noch umgekehrt werden, wenn Ökosysteme instandgesetzt, wieder aufgebaut und gestärkt und nachhaltig bewirtschaftet werden“, so der Rat. Um deren Leistungen langfristig zu sichern, sei es nötig, 30 bis 50 Prozent der Land-, Süßwasser- und Meeresflächen der Erde wirksam unter Schutz zu stellen.

„Halbe Sachen sind keine Option mehr.“

Der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee sagte, der neue Bericht unterstreiche die Dringlichkeit sofortiger und ehrgeizigerer Maßnahmen zur Bewältigung der Klimarisiken. „Halbe Sachen sind keine Option mehr.“ Die Maßnahmen zur Emissionsminderung, die im nächsten Jahrzehnt umgesetzt werden, bestimmen laut IPCC darüber, ob die Erwärmung beherrschbar bleibt und wie groß die Schäden sein werden. In einem Sonderreport zum 1,5-Grad-Limit hatte der Rat 2018 festgestellt, dass der CO2-Ausstoß bis 2030 in etwa halbiert werden muss, um die Chance zu dessen Einhaltung zu wahren.

Laut dem neuen Report sind zudem fundamentale gesellschaftliche Veränderungen nötig. Die Energie müsse sauber und die Mobilität verändert werden, Städte und Landwirtschaft müssten nachhaltig umgebaut, die Wegwerfmentalität gestoppt werden. Wichtig sei es aber, die gesamte Bevölkerung mitzunehmen, mahnte IPCC-Mitautorin Daniela Schmidt: Wenn der Umbau zu grünen Städten falsch umgesetzt werde „können sich Leute, die da jetzt leben, das vielleicht dann nicht mehr leisten“, sagte sie. Das dürfe nicht geschehen.

Auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine spielte an Rande der IPCC-Abschlusssitzung eine Rolle. Der Leiter der russischen Delegation, Oleg Anisimow, entschuldigte sich dort laut Nachrichtenagentur AFP überraschend für den Angriff. Er wolle „im Namen aller Russen für die Unfähigkeit, diesen Konflikt zu verhindern, um Entschuldigung bitten“, sagte er in einer Replik auf seinen ukrainischen Kollegen.

Hans-Otto Pörtner sagte vor Journalisten zu dem Thema: „Dieser Konflikt fühlt sich an wie aus der Zeit gefallen, wenn man sich überlegt, welche existenziellen Nöte die Menschheit eigentlich hat im Kontext der Auswirkungen des Klimawandels und des Biodiversitätsverlustes."

 

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