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Klimaziele

2030 muss der letzte Kohlemeiler vom Netz

Joachim Wille, 25.10.18
Ein Thinktank hat berechnet, was das 1,5-Grad-Erwärmungslimit für den deutschen Kohleausstieg bedeutet. Nebenbei würden damit auch viele Erkrankungen vermieden.

In der Kohlekommission werden Enddaten für die Verstromung des klimaschädlichsten Energieträgers zwischen 2030 und 2045 diskutiert. Die Umweltverbände fordern den schnellen Ausstieg, Industrievertreter und Gewerkschaften wollen die Kraftwerke nur langsam vom Netz nehmen. Eine neue Studie macht nun klar: Der letzte Meiler muss tatsächlich bereits 2030 abgeschaltet werden, um Deutschland auf dem Emmissionspfad des im Pariser Klimavertrag angestrebten 1,5-Grad-Erwärmungslimits zu halten.

Der Berliner Thinktank „Climate Analytics“ hat erstmals berechnet, was dieses Limit für den deutschen Energiesektor bedeuten würde. Danach müssen die Kohlestrom-Kapazitäten bis 2020 um rund 16.000 Megawatt (MW) sinken – und zwar zusätzlich zu den bereits von der letzten Bundesregierung beschlossenen Abschaltungen, bei denen Kraftwerke in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft gehen, wie kürzlich zwei Blöcke des RWE-Braunkohlekraftwerks Niederaußem und ein Block des Leag-Meilers Jänschwalde. Ein Jahrzehnt später müsste die Kohleverstromung dann komplett beendet sein.

Bislang hat sich Deutschland bei seinen Klimaschutz-Zielen am Zwei-Grad-Limit orientiert. Das 2015 abgeschlossene Paris-Abkommen, das völkerrechtlich verbindlich ist, legt die Latte aber höher, um das Anstoßen von Kippelementen im Klima wie das Abschmelzen des Grönland-Eises und das Auftauen der Permafrost-Böden zu verhindern. Die Erwärmung soll „deutlich unter zwei Grad“ gestoppt werden, und zwar möglichst bei 1,5 Grad. Die Bundesrepublik hat den Vertrag im Oktober 2016 ratifiziert.

Bisher ist die Kohleverstromung in Deutschland trotz bereits bestehender Klimaschutz-Verpflichtungen nur langsam zurückgegangen. Derzeit liefern Braun- und Steinkohle noch knapp 40 Prozent des Stroms hierzulande, anno 2008 waren es rund 44 Prozent. Im Groko-Koalitionsvertrag lagerten Union und SPD den Job „Kohleausstieg planen“ in die Kommission aus. In den später gescheiterten Jamaika-Verhandlungen hatte sich die Union auf eine Stilllegung von 7000 Megawatt Kohlekraftwerken bis 2020 eingelassen, also weniger als halb so viel, wie von Climate Analytics nun für den 1,5-Grad-Pfad als notwendig ermittelt. Für 2030 gab es keine Festlegung.

Auch der Chef der Internationalen Energieagentur warnt

Climate-Analytics-Experte Bill Hare warnt davor, dass ein Verschieben des Kohle-Endes über 2030 hinaus später dann zu deutlich abrupteren Veränderungen mit entsprechenden ökonomischen und sozialen Folgen führen könnte. „Eine Verzögerung des Kohleausstiegs würde zu viel drastischeren Kraftwerksschließungen führen, um wieder auf den Weg für die 1,5-Grad-Grenze zu kommen, der Deutschland mit der Unterzeichnung des Paris-Abkommens zugestimmt hat.“

Als weiteres Argument für einen schnellen Kohleausstieg verweist der Thinktank auf die positiven Effekte für die Luftreinhaltung. Laut seiner Kalkulation könnte gut die Hälfte der Emissionen von Stickoxiden, Schwefeloxid, Feinstaub und Quecksilber aus deutschen Kohlekraftwerken vermieden werden. Für die Gesundheit der Bevölkerung wirke sich das sehr positiv aus: Bis 2030 könnten so zwischen 18 und 52 Milliarden Euro an Gesundheitskosten eingespart werden.

Auch der Chef der Internationalen Energie-Agentur (IEA) Fatih Birol forderte unterdessen einen weltweiten schnellen Kohleausstieg, um den globalen CO2-Anstieg umzukehren, der sich bisher auch 2018 fortsetzt. „Energieeffizienz und Erneuerbare reichen nicht, um den Anstieg umzudrehen. Wenn es keine frühzeitige Abschaltung von Kohlekraftwerken gibt, dann sind mehr als zwei Drittel der Emissionen des Jahres 2040 bereits heute festgeschrieben“, sagte Birol dem britischen „Guardian“. In den Jahren 2014 bis 2016 stagnierte der energiebedingte CO2-Ausstoß, seit 2017 wächst er wieder.

 

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