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Was sagt die Politik?

Verlässt Deutschland der Mut?

Maria Krautzberger, 04.08.16
…fragt sich die Präsidentin des Umweltbundesamts, Maria Krautzberger, angesichts der EEG-Novelle in einem Gastbeitrag für neue energie. Sie rechnet damit, dass die Ausbaudynamik bei den erneuerbaren Energien deutlich nachlassen könnte.

In der Debatte um das neue EEG machte oft das Wort die Runde, mit dem Welpenschutz müsse es vorbei sein. Wind- und Sonnenenergie sollten gefälligst auf eigenen Beinen stehen, endlich erwachsen werden. Ich konnte mich damit nie anfreunden. Suggerierte es doch, dass Wind-und Solaranlagen tunlichst genauso zu behandeln seien wie unsere alten Kohle- und Gaskraftwerke, die ausgewachsenen und manchmal etwas bissigen „Rüden“. Mit der gleichen Logik könnte man auch fordern, die Deutsche Bahn möge es aus eigener Kraft schaffen, Autos von den Straßen zu verdrängen, ohne dass der Staat seinerseits Wettbewerbsverzerrungen und Hemmnisse beseitigt.

Schnell wird klar: Diese vermeintliche Logik trägt nicht. Und zum Glück ist die Politik dem bei der jüngsten Novelle des EEG auch nicht auf den Leim gegangen. Sie lässt die Erneuerbaren weiter in Begleitung eines verlässlichen Finanzierungsmechanismus groß werden, für den wir Stromkunden zahlen müssen. Völlig zu Recht übrigens, denn so wie wir Verbraucher für Kläranlagen zahlen, damit das Wasser wieder sauber wird, gibt es auch sauberen“ Strom nicht zum Nulltarif aus der Steckdose. Dass bei der Finanzierung des Erneuerbaren-Stroms auf Kosteneffizienz geachtet werden muss, versteht sich von selbst.

Die nun beschlossene Novellierung des EEG ist die nunmehr fünfte Novelle seit dem Jahr 2000 und die wohl weitreichendste. Erstmals musste sich Deutschland bei der Ausgestaltung an strikten Vorgaben der Europäischen Kommission orientieren. Die EU hatte mit ihren 2014 novellierten Beihilfeleitlinien nämlich dafür gesorgt, dass das alte EEG automatisch zum 31. Dezember 2016 ausläuft und somit eine Novelle in diesem Jahr erzwungen.

Der jetzt beschlossene Kompromiss ist an einigen Stellen sicher nur der kleinste gemeinsame Nenner und in vielen Details kritisch zu sehen. Gut finde ich, dass die Vergütung auch bei abgeregeltem Strom nicht angetastet wurde und dass der Windausbau weiterhin regional differenziert erfolgen soll. Größere Sorgen machen mir aber zwei Dinge: Erstens rechne ich damit, dass die Ausbaudynamik der Erneuerbaren deutlich schwächer werden könnte. Und zweitens sind die Prioritäten bei der Lösung von Netzproblemen noch nicht richtig gesetzt.

Ab 2020 droht Stagnation bei der installierten Windkraft-Leistung

Zum ersten Punkt: Das neue EEG enthält eine Ausbauobergrenze für Windkraftanlagen an Land. Diese liegt mit 2800 Megawatt (MW) beziehungsweise 2900 MW (ab 2020) deutlich unter den Zubauraten der letzten Jahre. Hinzu kommt, dass dies brutto gilt, das heißt der Ersatz von Anlagen ist von diesen Werten abzuziehen, um den Zubau netto zu ermitteln. Berechnungen des Umweltbundesamts zeigen allerdings, dass dann bereits ab 2020 kaum noch ein Nettozubau stattfindet und eine Stagnation der installierten Gesamtleistung der Windenergie an Land droht.

Das ist misslich, denn wenn wir es in Deutschland schaffen wollen, bis 2050 unsere nationalen Treibhausgas-Emissionen um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, kommt der Windenergie eine zentrale Bedeutung zu. Denn wir werden durch die Sektorkopplung Strom verstärkt auch in anderen Verbrauchssektoren brauchen, etwa im Verkehr für Elektromobilität oder zur Wärmeerzeugung (Wärmepumpen). Daraus resultiert ein ab 2025 deutlich gesteigerter Stromverbrauch. Den werden wir nur decken können, wenn wir einen deutlichen Anstieg des Zubaus von EEG-Anlagen hinbekommen.

Kommt es nun aber mit dem neuen EEG zu einer Absenkung der Netto-Zubaumengen bei der Windenergie an Land, würde dies den Erhalt und die kontinuierliche Erweiterung der Produktionskapazitäten der Windenergie hemmen. Nach dem wegweisenden Signal des Pariser Klimaschutzabkommens vom Dezember 2015 hätte ich mir gewünscht, dass Deutschland beim Ausbau der Erneuerbaren weiterhin mit Dynamik am Ball bleibt. Dies gilt umso mehr, als es bei den derzeitig spektakulär niedrigen Zinsen ein Investitionszeitfenster gibt, das in dieser Form sicher nicht auf Dauer bleibt.

Wir sollten deshalb in den nächsten Jahren genau hinsehen, wie sich der Ausbau entwickelt – und müssten notfalls rasch nachbessern. Wie jede Art der Energieversorgung braucht auch der Ausbau der Windenergie ökologische Leitplanken. Neben den Auswirkungen auf die Biodiversität und das Landschaftsbild sollten wir vor allem das Thema Lärmbeeinträchtigungen und insbesondere Infraschall ernst nehmen. Die Bewertung potenzieller Gefahren für Umwelt und Gesundheit erfordert eine fundierte Datengrundlage, an der das Umweltbundesamt und andere arbeiten. Diese Erkenntnisse sollten auch in eine immer bessere Lärmminderung von Windenergieanlagen einfließen und deren Akzeptanz erhöhen.

Der Erneuerbaren-Ausbau sollte Taktgeber für den Netzausbau sein, nicht umgekehrt

Mein zweiter Kritikpunkt am EEG: Um der zunehmenden Abregelung von EEG-Anlagen entgegenzuwirken, soll der Zubau der Windenergie an Land in Regionen mit Netzengpässen begrenzt werden. Leider handelt es sich hierbei um meist windreiche und daher sehr wirtschaftliche Standorte im Norden. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sollte das Ziel eher eine Verstärkung der Anstrengungen beim Netzausbau im Verteil- und Übertragungsnetz sein.

Zusätzlich sollten wir versuchen, die Mindesterzeugung der konventionellen Kraftwerke zu reduzieren, um im Falle des sogenannten Redispatch zuerst die Einspeisung aller konventionellen Kraftwerke zu verringern, bevor erneuerbare Energien abgeregelt werden. Allein die Mindesterzeugung der Braunkohlekraftwerke in Norddeutschland beträgt derzeit durchgängig mindestens 8000 MW. Würden diese im Engpassfall heruntergeregelt, wäre derzeit und in den nächsten Jahren praktisch keine Abregelung der Windenergie wegen Engpässen im Übertragungsnetz nötig.

Mir ist klar, dass eine Reduzierung der Mindesteinspeisung von konventionellen Kraftwerken derzeit nicht diskutiert wird und nur über ordnungsrechtliche Eingriffe zu schaffen wäre – hierfür braucht es sicher Zeit, aber wir müssen diese Debatte jetzt starten. Und zwar auch auf europäischer Ebene. Grundsätzlich sollte der Ausbau der erneuerbaren Energien der Taktgeber für den Netzausbau sein und nicht umgekehrt. Die Kosten für temporär unumgängliche Abregelungen erhöhen den politischen Handlungsdruck beim Netzausbau und bei der dringend notwendigen Verringerung der Mindesterzeugung.

Die Energiewende in Deutschland tritt in eine kritische Phase. Es geht darum, die Transformation des Energiesystems zügig voranzutreiben. Mit Blick auf die notwendige Dekarbonisierung bis 2050 ist es dabei vor allem wichtig, den Ausstieg aus der Kohleverstromung jetzt anzugehen.

Hinweis: Bei diesem Text handelt es sich um einen Gastbeitrag, der nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wiedergibt. Für den Inhalt sind die jeweiligen Autoren verantwortlich.

 

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