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Bundestagswahl 2017

Traditionsbewusst dagegen

Tim Altegör, 15.09.17
Die FDP will zurück in den Bundestag. Energiepolitisch setzt die vermeintlich neu aufgestellte Partei dabei auf alte Konzepte.

„Bezahlbare Energie statt teure Ideologie“ steht auf dem Wahlplakat, darunter runter blickt ernst der Spitzenkandidat der FDP in weißem Hemd und Krawatte. In zahlreichen Interviews lässt Christian Lindner keinen Zweifel daran, was er als teuer und ideologisch erachtet: Er will das EEG abschaffen, das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien. So weit, so bekannt – das war nämlich 2012, vor der damaligen Landtagswahl in NRW. Seitdem ist die FDP aus dem Bundestag geflogen, durchlebte ihre größte Krise seit Jahrzehnten und soll nun von eben jenem Christian Lindner wieder zurück ins Zentrum der Macht geführt werden. Ein großer Neuanfang also. Und wie lautet der einzige energiepolitische Wahlslogan mit Lindners Konterfei? „Dauersubventionen des EEG beenden.“

Wenn man sich etwas mit der FDP beschäftigt, im Wahlprogramm blättert, die Forderungen liest, dann lässt sich konstatieren: Die Partei suggeriert an allen Ecken und Enden, dass sie etwas Neues wagt. Über dem Programm steht dick und fett „Denken wir neu“. Aber inhaltlich ist das auf geradezu groteske Weise nicht der Fall. Sicher, die Wahlplakate sind gelungener als viele andere, weil sie eine vage Aufbruchsstimmung vermitteln. Wenn Lindner zum Motto „Digitalisierung first. Bedenken second.“ in Schwarz-Weiß-Optik in sein Smartphone tippt, dann wirkt das smart und modern. Ein von der FDP beauftragter Werber sprach 2016 gegenüber der „Zeit“ von einem „radikalen Neustart in der Darreichungsform“.

Aber was da dargereicht wird, erinnert nahezu eins zu eins an die FDP unter Westerwelle, Brüderle, Rösler: Schädliche Subventionen wittern die Freidemokraten bevorzugt im Erneuerbaren-Sektor und weniger in der fossilen Wirtschaft. Die soll uns möglichst noch auf unbestimmte Zeit erhalten bleiben. Und alles andere soll nicht die Politik, sondern der im FDP-Denken allgegenwärtige und zugleich stets im Ungefähren bleibende Markt richten. „Anstelle weit in eine ungewisse Zukunft geplanter Ausbauziele für erneuerbare Energieträger soll das Auswahlverfahren des Marktes die Leitplanken der Investitionen in Netz und Kraftwerkskapazitäten setzen“, das ist so ein typischer Satz aus dem Programm zur Bundestagswahl.

Klimaschutz? Vielleicht irgendwie

Neu hinzugekommen ist da allenfalls der Versuch, aus lokaler Anti-Windkraft-Stimmung Profit zu schlagen. In NRW will die frisch an die Regierung gewählte FDP unter Lindners Führung gemeinsam mit der CDU den Ausbau der Windenergie verringern. Für den Bundestag tritt sie mit dem Ziel an, im ganzen Land größere Mindestabstände nach bayerischem Vorbild einzuführen. „Wir sind nicht gegen Windkraft und auch nicht gegen Klimaschutz“, betonte Hermann Otto Solms, der bei der FDP für Energiepolitik zuständig ist, jüngst gegenüber neue energie. Dafür allerdings auch nicht, ließe sich ergänzen.

In einem Online-Video zur NRW-Wahl wurde immer mal wieder der Braunkohletagebau eingeblendet, von erneuerbaren Energien dagegen keine Spur. Die sind laut Programm der Bundes-FDP „ein wichtiges Element im Energiemix der Zukunft“. Ungefährer kann man sich kaum zur Energiewende bekennen. Ein schlüssiges liberales Konzept, wie Klimaschutz anders möglich wäre, als über immer mehr Gesetzesparagrafen, zum Beispiel per wirksamer CO2-Abgabe? Fehlanzeige.

Stattdessen, auch das in alter FDP-Tradition, der Verweis auf den europäischen Emissionshandel, der aber bloß nicht mit einem Mindestpreis verzerrt werden dürfe. Neu ist im Übrigen nicht einmal das Spitzenpersonal: Der Finanzexperte Solms etwa saß schon von 1980 bis 2013 im Bundestag, der Wahlkampf ist komplett auf Christian Lindner zugeschnitten. Nicht einmal die Merkel-CDU konzentriert sich derart auf ihre Spitzenkandidatin. So wie es aussieht, könnte Lindner aber Erfolg mit seiner Wiederbelebungs-Mission haben. Laut Meinungsumfragen liefert sich die FDP ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Linken, Grünen und AfD um den dritten Platz bei der Wahl im September, selbst eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition erscheint möglich.

Dabei deutet sich bereits an, wer sich von dieser Konstellation einen Nutzen erhofft. Alle Großspenden über 50 000 Euro müssen von den Parteien gemeldet werden, der Bundestag veröffentlicht die Daten. Es gibt Wege, diese Transparenz zu umgehen, aber die bisherigen Zahlen für 2017 (Stand: 15. September) sind dennoch deutlich: Die SPD erhielt 270 000 Euro, die Grünen 100 000. Die CDU dagegen liegt bei 2,25 Millionen, die FDP gerundet bei 1,69 Millionen. Das Geld für Schwarz-Gelb kam unter anderem vom Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen sowie den BMW-Großaktionären Susanne Klatten und Stefan Quandt.

Die lobbykritische Organisation Lobby Control hat die Spenden im ersten Halbjahr 2017 mit den Werten der beiden letzten Bundestagswahlen verglichen und einen deutlichen Zuwachs verzeichnet. Es gebe „offenbar ein gestiegenes Interesse bei Unternehmen und Vermögenden an Schwarz-Gelb und besonders am Erstarken der FDP“. Sollte es wirklich so kommen, bleibt nur die Hoffnung, dass sich die Freidemokraten ihren Neuanfang doch noch zu Herzen nehmen und von der klimapolitischen Verweigerungshaltung abrücken. Ihre Slogans müssen sie dafür gar nicht groß ändern: „Energiewende first. Bedenken second.“ – das klingt doch auch ganz gut.

Aus der September-Ausgabe von neue energie.

 

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