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Klimapolitik

Rechenspiele aus den Ministerien

Tim Altegör, 13.07.22
Angekündigt war ein gemeinsames Programm der Regierung, stattdessen präsentieren die Ressorts unabhängig voneinander zwei Klima-Sofortprogramme für Gebäude und Verkehr. Vor allem das Papier von Verkehrsminister Wissing sorgt bei Klimaorganisationen für Entsetzen.

An diesem Mittwoch (13. Juli) lief einiges anders als geplant bei der Bundesregierung. Eigentlich wollte sie in dieser Woche ein großes gemeinsames Klimaschutzprogramm vorlegen, doch das ist erstmal abgesagt. „Die Diskussionen dazu im Ressortkreis dauern noch an“, sagte Klima-Staatssekretär Patrick Graichen bei einer Pressekonferenz in Berlin. Dort stellte Graichen gemeinsam mit Bauministerin Klara Geywitz ein Sofortprogramm für den Klimaschutz im Gebäudesektor vor – in Vertretung seines Chefs Robert Habeck, der mit Erkältungssymptomen zuhause geblieben war und später einen positiven Corona-Test hatte.

Beinahe zeitgleich präsentierte Verkehrsminister Volker Wissing anderorts in Berlin ebenfalls ein Klima-Sofortprogramm, für den ihm unterstellten Sektor. Die Sofortmaßnahmen speziell für Gebäude und Verkehr sind gesetzliche Pflicht, weil beide ihre im Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Emissionsgrenzen 2021 überschritten haben, um zwei beziehungsweise drei Millionen Tonnen CO2.

Große Lücke zu den Klimazielen bis 2030

Sofort bedeutet laut dem Gesetz, dass das Programm „die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt“. Dazu muss man wissen: Der jüngste Projektionsbericht der Bundesregierung von 2021 geht davon aus, dass die Sektoren ohne weiteres Handeln ihre Ziele regelmäßig verfehlen werden, und zwar um immer größere Werte, da die Zielvorgaben zunehmend ambitionierter werden. Bis zum Jahr 2030 würden demnach im Verkehr insgesamt rund 270 Millionen Tonnen CO2 zu viel emittiert, in Gebäuden etwa 150 Millionen Tonnen.

Um dem entgegenzuwirken, nennen Klima- und Bauministerium für ihren Bereich elf Maßnahmen, darunter eine Neufassung des Gebäudeenergiegesetzes, die höhere Neubaustandards vorschreiben soll, eine Fokussierung von Fördermitteln auf den Gebäudebestand und die Optimierung von laufenden Heizungen, die den Energieverbrauch zum Teil deutlich senken könnten. Ob letzteres auch ordnungsrechtlich verfügt wird, werde momentan aber noch „erarbeitet und diskutiert“. Ähnlich ist der Stand zur Einführung einer flächendeckenden kommunalen Wärmeplanung. Wie das Gesetz dazu genau aussehen wird, sei „derzeit noch offen“.

Überzählige Emissionen sollen erst in einigen Jahren kompensiert sein

Insgesamt und in Kombination mit gestiegenen Energiepreisen sollen die Klimaziele für Gebäude damit wieder erreicht werden, allerdings erst ab 2028. Dann soll eine Übererfüllung dafür sorgen, dass unterm Strich bis 2030 weniger CO2-Emissionen entstehen als zulässig. Ob diese Rechnung den Expertenrat für Klimafragen überzeugt, der die Sofortprogramme prüft und bewertet, bleibt abzuwarten. Als der Gebäudesektor 2020 schon einmal sein Ziel verfehlte, attestierten die Experten der damals noch regierenden Großen Koalition ein ungenügendes Maßnahmenpaket.

Verkehrsminister Wissing rechnet noch ganz anders. Seine Maßnahmen bestehen unter anderem aus dem angekündigten Ausbau von Ladesäulen, mehr Fördergeldern für den Radverkehr und der Erleichterung von Arbeit im Homeoffice, die berufliche Wege reduzieren soll. Die drei Millionen überzähligen Tonnen aus 2021 sollen damit in etwa bis 2026 kompensiert sein, bis 2030 würde das Paket rund 13,7 Millionen Tonnen CO2 einsparen.

Reaktionen: Von Versagen bis Wortbruch

„Wir haben damit den Nachweis erbracht, dass Klimaschutz im Verkehr durch Motivation und Anreize möglich ist, ohne die Mobilitätsbedürfnisse der Gesellschaft einzuschränken“, so Wissing. Wie verhindert werden soll, dass die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit absehbar immer weiterwächst, dazu äußerte sich Wissing nicht. Die projektierte Zielverfehlung in den kommenden Jahren, also 270 Millionen Tonnen Überschuss statt bloß drei, lässt die Berechnung außen vor.

Entsprechend fiel die Resonanz von Klimaorganisationen aus. Die Klima-Allianz Deutschland warf Wissing Versagen vor. Germanwatch-Geschäftsführer Christoph Bals forderte angesichts eines „drohenden Wortbruchs“ in Sachen Klimaschutz ein Einschreiten von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Das, was bisher aus dem Verkehrsministerium bekannt ist, scheint der Versuch zu sein, genau das zu tun, was das Verfassungsgericht untersagt hat: die Klimaschutzpflichten trotz immer größerer Dringlichkeit in die Zukunft zu verschieben“, so Bals. Und die Deutsche Umwelthilfe kündigte an, beide Sofortprogramme vor Gericht prüfen zu lassen.

 

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