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Bundesregierung

Letzte Mahnungen an das Klimakabinett

Tim Altegör, 18.09.19
Wenige Tage vor den angekündigten Beschlüssen zum Klimaschutz warnen Wissenschaftler und Umweltverbände davor, dass die Regierung ungenügende Pläne und Ziele verfolgt. Besonders in der Kritik steht der Verkehrsminister.

Am Freitag soll es soweit sein: Die Bundesregierung hat Beschlüsse im sogenannten Klimakabinett angekündigt, um das Land wieder auf Kurs der selbstgesteckten Ziele zu bringen. In erster Linie ist damit gemeint, bis 2030 ein Minus von 55 Prozent Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Wert von 1990 zu erreichen. Von den Regierungsparteien gibt es vorab mehr oder wenige konkrete Vorschläge: Die CSU hat eine „Klimastrategie“ präsentiert, die CDU Anfang dieser Woche ein Papier zum „klimaeffizienten Deutschland“. Von SPD-Umweltministerin Svenja Schulze liegt der Entwurf für ein Klimaschutzgesetz vor, dazu kommen mündlich geäußerte Vorschlägen aus allen drei Parteien.

Kurz vor dem mutmaßlichen Tag der Entscheidung, an dem die teils widersprüchlichen Programme in Einklang gebracht werden sollen, haben diverse Experten und Organisationen noch einmal deutlich Kritik geübt. Darunter ist auch ein Beratungsgremium der Regierung: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat einen offenen Brief verfasst, in dem er auf ein doppeltes Manko hinweist: eine „Umsetzungslücke“ und eine „Ambitionslücke“.

Soll heißen: Zum einen gelingt es mit der derzeitigen Klimapolitik nicht, die vereinbarten Ziele zu erreichen, zum anderen sind diese Ziele schon zu niedrig angesetzt. Gemessen am verbleibenden CO2-Budget der Menschheit, um die Erderwärmung auf 1,5 bis zwei Grad zu begrenzen, sei der deutsche Anteil bei gleichbleibenden Emissionen bereits 2028 aufgebraucht. Würden sie gleichmäßig gesenkt, müsste 2037 Treibhausgasneutralität erreicht sein – die Regierung plant mit 2050. Auch das ist für den SRU denkbar, allerdings müssten dann die Emissionen in den nächsten Jahren besonders stark sinken. Das 1,5- bis Zwei-Grad-Ziel steht im Pariser Klimaabkommen, das Deutschland unterzeichnet hat und auf das sich auch die Parteien stets beziehen.

Klarstellung an Merkel

Die Sachverständigen empfehlen, sich an den Budget zu orientieren und den Fortschritt durch Wissenschaftler kontrollieren zu lassen, mit klimapolitischen Folgen im Falle des Abweichens. Recht ausführlich gehen sie zudem auf den Verkehrssektor ein. Die Pläne von CSU-Minister Andreas Scheuer, der vor allem auf Förderprogramme setzt, seien nicht ausreichend, stattdessen müssten etwa eine Quote für Elektroautos und ein allgemeines Tempolimit her.

Scharfe Kritik an Scheuer äußerte auch ein Zusammenschluss von ökologischen Verkehrsverbänden, ebenfalls in Form eines offenen Briefs. Darin weisen sie die Bundeskanzlerin darauf hin, dass sie entgegen Scheuers Aussagen als Mitglieder des Expertengremiums „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ nicht zu den Maßnahmen befragt worden seien und diese als „klimapolitisch unzureichend“ ablehnen. Zusätzlich würden dadurch unverhältnismäßige Kosten von mehr als 75 Milliarden Euro bis 2030 entstehen.

Stattdessen fordern die Verbände, unter ihnen der Fahrradverband ADFC, die Allianz pro Schiene und der Deutsche Naturschutzring, beispielsweise Mittel aus dem Straßenbau in Bahn, Nahverkehr, Fahrrad- und Fußwege umzuschichten, ein Bonus-Malus-System einzuführen, das ineffiziente Autos verteuern würde, die Preis für Flüge zu erhöhen und umweltschädliche Subventionen zu streichen.


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Weiteres Warten „nicht vermittelbar“

Beim geplanten CO2-Preis für Wärme und Verkehr sprechen sie sich deutlich für eine Erhöhung der Energiesteuern und damit gegen einen nationalen Emissionshandel aus, den CDU und CSU unbedingt wollen. Zentrales Gegenargument ist die Warnung von Experten, dass ein solches System im Gegensatz zur Steuerlösung erst in einigen Jahren einsatzbereit wäre. Das jedoch sei angesichts der Versäumnisse der vergangenen Jahre „völlig inakzeptabel“ und „nicht vermittelbar“, so die Unterzeichner.

Einen Kompromiss schlägt das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie in einem Diskussionspapier vor: Zum Start könnte ein CO2-Mindestpreis eingeführt werden, der später mit dem Handelssystem ergänzt würde. Auch eine Preisobergrenze, die sich die Union wünscht, sei möglich, allerdings rechtlich unsicher. So hat Anfang September ein Gutachten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines festen Preises im Handel geäußert.

In jedem Fall hält das Institut weitere Maßnahmen für nötig und listet eine Reihe davon auf, ambitionierte Sanierungsstandards beispielsweise, eine Kerosinsteuer, die Streichung des Ausbaudeckels für Solarenergie oder auch der Subventionen für neue Ölheizungen. Darüber hinaus warnen die Autoren des Papiers, ähnlich wie der SRU, vor einer Verengung der Diskussion. Es bestehe „die große Gefahr“, dass der langfristige Horizont bis 2050 aus dem Blick gerate und möglicherweise Wege beschritten werden, die später den Erfolg erschweren. Darauf müssten auch heute schon sämtliche Investitionsentscheidungen geprüft werden.

 

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