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Energiewende und soziale Gerechtigkeit

„Klimaschutz ist ein ureigenes soziales Thema“

Tim Altegör, 01.03.18
Viel spricht dafür, dass die SPD Ökologie und Soziales miteinander verbinden sollte – nicht zuletzt die Überzeugungen der eigenen Wähler. Aber hören die Sozialdemokraten die Signale?

Zeit für mehr Gerechtigkeit – das war das große Versprechen, um das herum die SPD den Wahlkampf mit Martin Schulz gestrickt hat. Im Wahlprogramm deklinierten die Sozialdemokraten es bis ins Detail durch, auch beim Klima. Um nur ein Beispiel zu nennen: „Umweltgerechtigkeit ist das Ziel unserer Politik. Denn eine zerstörte Umwelt gefährdet die Gesundheit und vertieft soziale Ungleichheit bei uns und weltweit.“ Und klar, wer wäre eher berufen, diese Verbindung zu knüpfen von Energiewende und Sozialem, als die SPD?

Allein, so recht gelingt es ihr zuletzt höchstens auf dem Papier. Im November machte eine groß angelegte Umfrage, das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer (siehe Grafiken), darauf aufmerksam, dass viele Menschen in diesem Land finden, dass die Energiewende ungerecht verläuft. Schon da sollten bei der Regierungspartei SPD die Alarmglocken schrillen, umso mehr aber bei der Frage, wie viele der jeweiligen Anhänger denken, dass ihre Partei die besten Konzepte für die Energiewende hat. Bei der SPD glauben das 26 Prozent, weniger als überall sonst. Mehr SPDler, nämlich 29 Prozent, finden da die Grünen kompetenter.

Auch wenn Linke oder FDP nicht viel besser abschneiden: Die SPD ist bei dieser Frage Schlusslicht. Und das, obwohl sie mit Sigmar Gabriel und zuletzt Brigitte Zypries in den vergangenen vier Jahren das Energieministerium führte. Das lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Insbesondere Gabriels Kurs, Solar- und Windenergie vermeintlich an den Markt heranzuführen und vor allem den Ausbau zu begrenzen, ist nicht geeignet, SPD-Wähler zu begeistern. Die Industrie-Ausnahmen bei der EEG-Umlage dagegen, die in der Umfrage sehr schlecht wegkommen, wollte Gabriel einst reduzieren, beließ dann aber doch alles beim Alten. „Die Gerechtigkeitsvorstellungen der Mehrheit der Bevölkerung und die Politik der Bundesregierung klaffen in diesem Punkt auseinander“, konstatiert die Zusammenfassung zum Stimmungsbarometer.

(Grafik © IASS)

Ebenfalls nicht viel passiert ist beim Kohleausstieg, wegen des Wirtschaftsflügels in der CDU, aber genauso weil sich Gewerkschaften und SPD-geführte Kohleländer dagegenstemmten. Auch hier gibt es eine interessante Umfrage, das Meinungsforschungsinstitut Civey hat sie im Dezember für Greenpeace durchgeführt. Ob die SPD in einer neuerlichen Großen Koalition „die Energiegewinnung aus der Verbrennung von Kohle beenden“ solle, fragten die Umweltschützer. Knapp 57 Prozent waren dafür, etwa 31 Prozent dagegen. Unter SPD-Wählern allerdings lag die Zustimmung bei fast 80 Prozent.

Beim Parteitag im Dezember wurde der mittlerweile ehemalige Parteivorsitzende Martin Schulz, der selbst aus einer Kohleregion stammt, da recht deutlich: „Die Wahrheit ist doch: Wir wollen die Klimaziele erreichen. Die Wahrheit ist auch: Das geht einher mit einem Ende der Kohleverstromung.“ Das wüssten die Menschen dort. Und weiter: „Aufgabe der Sozialdemokratie ist es nicht, Strukturen der Vergangenheit zu konservieren. Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, eine Perspektive für die Zukunft zu geben.“

Er mag damit einen neuen Trend gesetzt haben, doch bis zum wirklichen Beweis des Gegenteils gilt: Weder beim Ob (Kohleausstieg, Umbau der Autoindustrie), noch beim Wie (Verteilung der Kosten und der Teilhabe) verbindet die SPD derzeit glaubhaft Ökologie und Soziales – obwohl sie dafür mit Rückhalt rechnen darf. Stattdessen gibt es in der Partei einflussreiche Kräfte, die immer wieder beides gegeneinander ausspielen.

Radikalforderungen aus Bayern

Lautstarke Vertreter dieser Gruppe sind Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und der Chef der Bergbaugewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis. Beide haben ein Interesse daran, dass noch möglichst lange Braunkohle verbrannt wird, beide monieren, dass von der Energiewende die Besserverdienenden profitieren – und zugleich mit einem Kohle-Aus die sichere Energieversorgung in Gefahr sei.

Das EEG bezeichnete Woidke gerade erst als „größte Umverteilung von Geld von unten nach oben seit 1945“. Im Dezember schrieb Sigmar Gabriel im Spiegel, Klimaschutz sei der SPD „manchmal wichtiger als der Erhalt unserer Industriearbeitsplätze“ gewesen und suggerierte damit ein Entweder – Oder. Kurz zuvor hatte Martin Schulz, Gabriels Nachfolger als Parteichef, in seiner Rede noch gemahnt: „Wir müssen aufhören, Umweltschutz gegen Industriepolitik auszuspielen.“

Nun ist es mitnichten so, dass sich niemand innerhalb der SPD für einen anderen Weg einsetzen würde. Barbara Hendricks etwa machte in den letzten vier Jahren eine gute Figur als Umweltministerin, setzte gegen heftigen Widerstand immerhin einen Klimaschutzplan mit Zielen für einzelne Sektoren durch. Hans Eichel, der ehemalige rot-grüne Finanzminister, trommelt für eine ökologische Steuerreform.

Auch an der Basis gibt es sie, die klimapolitisch Überzeugten. Ein Anruf bei Ernst Deiringer in Oberbayern. Deiringer ist stellvertretender Vorsitzender im SPD-Ortsverein Seefeld, nahe des Starnberger Sees. Auf dem Sonderparteitag Ende Januar stellten die Seefelder einen Antrag, der kurz gefasst so lautet: kurzfristig neun Gigawatt Braunkohleleistung abschalten, bis 2025 ganz daraus aussteigen, Diesel-Subventionen innerhalb von vier Jahren beenden, Wohlstand für alle mit konsequentem Klimaschutz verbinden, statt Wirtschaftswachstum wie bisher – und wenn diese „Minimal-Ziele“ nicht erreichbar sind, keine Groko.

Betroffene in den Kohlerevieren

Es sei „nicht der erste Antrag dieser Art“ aus Seefeld gewesen, sagt Deiringer. Er selbst engagiere sich seit 30 Jahren im Klimaschutz. Aber: „In der Gesamt-SPD sind wir da noch nicht mehrheitsfähig.“ Auch dieses Mal scheiterte der Vorstoß an den Delegierten. Woran es liegt? „Ich kann‘s nicht sagen. Vielleicht fehlt das Bewusstsein, vielleicht gibt es zu viele Einflüsse in die andere Richtung.“ Deiringer könnte man sich mit seinen ziemlich radikalen Klima-Forderungen gut bei den Grünen vorstellen, auch der imposante Bart, der ihn auf der Internetseite des Ortsvereins schmückt, würde in dieses Bild passen. Für ihn ist allerdings klar: „Klimaschutz ist ein ureigenes soziales Thema, also absolut eines für die SPD.“

Diesen Satz würde auch Nina Scheer unterschreiben. Die Bundestagsabgeordnete vertritt einen Wahlkreis am anderen Ende Deutschlands, in Schleswig-Holstein. „Meiner Wahrnehmung nach ist eine breite Mehrheit in der SPD ganz klar für Klima- und Ressourcenschutz und die Energiewende. Es geht dabei auch um Lebensgrundlagen und Generationengerechtigkeit“, sagt Scheer. Das sehe man zum Beispiel an vielfältigen Anträgen auf Parteitagen zu diesem Thema.

Die Schwierigkeit bestehe im innerparteilichen Umgang mit den unmittelbar in den Kohlerevieren Betroffenen. „Es sind Regionen, die heute hochgradig von den Einnahmen aus der herkömmlichen Energieversorgung abgängig sind und die traditionell eine starke Stimme in der Partei haben.“ Bei alldem seien es im Parteienvergleich allerdings letztlich CDU/CSU, die sich sozial-ökologischen Konzepten versperrten, findet Scheer.

(Grafik © IASS)

Leider sei es in der öffentlichen Auseinandersetzung um politische Konzepte bisher nicht genügend gelungen, hier den Blick in die Zukunft zu richten. „Die fossile Energiewirtschaft setzt dabei betriebswirtschaftliche Interessen mit den Interessen der Beschäftigten und Regionen gleich. Die politische Aufgabe liegt nun darin, angesichts der Endlichkeit dieser Industriezweige zu differenzieren: Branchen können verlieren, die Beschäftigten müssen aber zu Gewinnern werden – nur mit anderen Aufgaben“, sagt sie. „Eben diese Chancen müssten erkannt werden.“

Vieles reduzierte sich in den letzten Wochen bei den Sozialdemokraten auf die Frage: Groko oder nicht. Scheer etwa gehörte zu jenen, die sich eher dagegen aussprachen. Auf dem Sonderparteitag der SPD im Januar, der letztlich knapp für Koalitionsverhandlungen stimmte, trat Michael Müller als einer der letzten ans Rednerpult, kurz vor der Abstimmung. Müller ist seit vielen Jahren Vorsitzender der Naturfreunde Deutschlands, einem eng mit der SPD verbundenen Umweltverband. In der ersten Merkel-Regierung war er auch mal Staatssekretär von Sigmar Gabriel, als der noch das Umweltressort leitete.

Seine Botschaft auf dem Parteitag lautete: Entscheidend sei letztlich nicht, ob die Partei mitregiere, sondern ob sie ein gesellschaftliches Zukunftskonzept anbiete. Unser bisheriges Modell, die Fixierung auf Wachstum und Technologie, stoße an Grenzen, erklärt Müller auf Nachfrage. Diese gelte es anzuerkennen und Umweltpolitik zum Ausgangspunkt für eine Neuausrichtung zu machen. „Das wird nur erfolgreich sein, wenn diese Politik verbunden wird mit dem zweiten großen Thema der letzten 150 Jahre, nämlich der sozialen Demokratie“, sagt er. „Da gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine ist, dass eine ökologische Partei das Soziale entdeckt. Es gibt aber auch die andere Möglichkeit, dass eine soziale Partei das Ökologische mit einbezieht, darin sogar eine Chance sieht.“

Bislang allerdings klammere sich auch die SPD an die Vergangenheit, den Versuch, „zu retten, was nicht mehr zu retten ist“. Ohne eine starke gesellschaftliche Bewegung, die Druck auf die Partei macht, werde es wohl nicht gehen, glaubt Müller. Eine Große Koalition sieht er nicht pauschal als Problem, was bei den Sondierungen herauskam, sei allerdings nicht genug: „Da sind viele Punkte drin, die ich in Ordnung finde. Aber das ist alles die Reparatur des Bestehenden. Es ist nichts, was nach vorne weist.“

Nicht bloß reparieren

Wie könnte er aussehen, ein politischer Aufbruch? Beispielsweise wäre es doch „ein unheimlich tolles Projekt, wenn man reinschreiben würde: Ökologische Modernisierung bedeutet, wir fangen an, die autogerechte Stadt zu beenden“, sagt Müller. In den letzten 50 Jahren sei motorisiertes Reisen ein Instrument gewesen, um ärmeren Menschen mehr Freiheit zu ermöglichen. „Mit all den verheerenden Folgen des Massentourismus. Aber die Konsequenz kann ja nicht sein, dass nur noch Reiche in der Welt herumfahren dürfen. Sondern wir müssen zum Beispiel herausfinden, wie wir Kollektivsysteme verbessern, die Städte umbauen über den öffentlichen Nahverkehr.“

„Soziale Politik ist auch Vorsorgepolitik, nicht nur die Reparatur von schlechten sozialen Verhältnissen“, findet auch Ernst Deiringer und verweist auf den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, der 2014 einen ökonomischen und gesellschaftlichen „Paradigmenwechsel“ gefordert habe. „Ein Paradigmenwechsel, das ist nicht das Flicken an kleinen Dingen.“ Ob Deiringer einer Neuauflage der Großen Koalition zustimmen wird? Er wolle abwarten, was am Ende im Koalitionsvertrag steht. Den letzten hat er abgelehnt, wegen Erneuerbaren-Deckel und 10H-Abstandsregel für bayerische Windräder.

Ob mit oder ohne Groko, die Abgeordnete Nina Scheer wünscht sich, dass inhaltliche Konflikte künftig offener ausgefochten werden. Und dass Politik wieder mehr Durchhaltevermögen zeigt. Als Beispiel nennt sie die Bepreisung von Schadstoffen, für die sie eintritt. Steige dadurch an einer Stelle der Preis, werde das sofort populistisch ausgeschlachtet – auch wenn es zugleich an anderer Stelle überwiegende Entlastungen gibt. „So werden viele Projekte, die langfristig nur Nutznießer haben, nicht angegangen – aus Angst vor populistischen Negativschlagzeilen.“ Wie sich dieses Dilemma auflösen lasse? „Mit Mut. Es fehlt teilweise einfach der Mut. Aber der ist nötig, um voranzukommen.“

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 2/2018 von neue energie. Er erscheint hier in einer leicht aktualisierten Fassung.


neue energie kooperiert für repräsentative Umfragen mit dem Umfrageinstitut Civey. Abstimmen kann jeder, doch berücksichtigt werden nur die Abstimmungen registrierter User. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Alle Informationen zur Methodik finden Sie hier.

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