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Interview zur Gemeinnützigkeit

„Es geht um deutlich mehr als Steuervorteile“

Interview: Tim Altegör, 21.10.19
Nach Attac verliert nun auch das Kampagnennetzwerk Campact seine Gemeinnützigkeit. Stefan Diefenbach-Trommer von der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ erklärt die Hintergründe und welche Reformen das Bündnis fordert. Vor allem wünscht er sich ein klares Bekenntnis zur politischen Rolle der Zivilgesellschaft.

Wie heute (21.10.) bekannt wurde, verliert die Organisation Campact ihre Gemeinnützigkeit. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir das Interview mit Stefan Diefenbach-Trommer vom April zum Thema erneut. Es ist zuerst in der Ausgabe 04/2019 von neue energie erschienen.


neue energie: Die globalisierungskritische Organisation Attac wird nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs wohl ihren gemeinnützigen Status verlieren, das Kampagnennetzwerk Campact geht nun davon aus, dass ihm das gleiche Schicksal droht. Müssen sich weitere Organisationen Sorgen machen?

Stefan Diefenbach-Trommer: Sorgen müssen sich viele weitere machen. Betroffen sind vor allem jene, die nur Bildung oder die Förderung der Demokratie als gemeinnützigen Zweck haben. Das sind oft diejenigen, für die es keine anderen passenden Zwecke im Gemeinnützigkeitsrecht gibt, die sich zum Beispiel politisch für Menschenrechte einsetzen. Dass dieser Zweck im Gesetz fehlt, sorgt immer wieder für Überraschung.

ne: Wirkt sich das Attac-Urteil direkt auf andere Akteure aus?

Diefenbach-Trommer: Erstmal bezieht sich so ein Urteil immer auf einen Einzelfall. Zu erwarten ist aber, dass das Bundesfinanzministerium den Tenor in den sogenannten Anwendungserlass zur Abgabenordnung übernimmt, und dann wirkt es als Anweisung für die Finanzämter. Von diesem Moment an sind wahrscheinlich tausende Vereine sehr direkt betroffen, spätestens wenn eine Prüfung der Gemeinnützigkeit ansteht, die alle drei Jahre erfolgt. Die fatalste Folge wäre, dass Vereine und Stiftungen aufgrund der Unsicherheit sagen: Wir machen bestimmte Sachen besser nicht mehr, sonst kriegen wir vielleicht Schwierigkeiten.

ne: Was sind denn die Folgen einer Aberkennung?

Diefenbach-Trommer: Es ist eines der rechtlichen Probleme, dass man das nicht genau weiß. Das Finanzamt kann eine Warnung für die Zukunft aussprechen oder auch eine rückwirkende Nachversteuerung. Ob der Verein selbst steuerbefreit ist, ist gar nicht so relevant, weil die meisten Vereine sowieso keinen Gewinn machen. Spenden an einen gemeinnützigen Verein kann man von der Steuer absetzen, der Vorteil wird aber auch häufig etwas überschätzt, zumindest bei den Summen, die normale Menschen so spenden. Wichtiger sind meist die indirekten Vorteile. Zum Beispiel hängt der Zugang zu Förder- oder Stiftungsgeldern in aller Regel von der Gemeinnützigkeit ab. Außerdem gilt Gemeinnützigkeit als so etwas wie ein Gütesiegel. Bei einer Organisation, die nicht gemeinnützig ist, sagen viele: Die sind mir nicht geheuer.

Das Attac-Urteil

Anfang Januar hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass es nicht vereinbar sei, wenn sich der globalisierungskritische Verein Attac politisch für seine Ziele einsetzt, während er mit dem Zweck der „Volksbildung“ als gemeinnützig anerkannt ist. In der Folge gab das Kampagnennetzwerk Campact im März bekannt, es rechne nun ebenfalls mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Am 21. Oktober teilte Campact mit, dass dies nun tatsächlich geschehen sei. Das Berliner Finanzamt habe den Schritt damit begründet, dass die Organisation vor allem allgemeinpolitisch tätig sei und ihre Themen keinem anerkannten gemeinnützigen Zweck zugeordnet werden könnten. Das zugrundeliegende Gesetz listet diese Zwecke auf, beispielsweise gehören Menschenrechte oder Klimaschutz bislang nicht dazu.


ne: Sie vertreten die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, Attac und Campact sind unter Ihren mehr als 80 Mitgliedern. Was wollen Sie erreichen?

Diefenbach-Trommer: Als Sofortmaßnahme fordern wir vor allem, dass neue gemeinnützige Zwecke ins Gesetz geschrieben werden, damit niemand auf Kategorien wie Bildung ausweichen muss. Zusätzlich braucht es offensichtlich eine Klarstellung im Gesetz, dass man einen gemeinnützigen Zweck auch mit politischen Tätigkeiten wie Demonstrationen oder Pressemitteilungen verfolgen kann. Das sind die dringendsten Maßnahmen. Jenseits dessen wäre es bitter nötig, dass sich die Abgeordneten im Bundestag mal darüber verständigen, was die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen im demokratischen Prozess ist, und diese Rolle anerkennen. Einige Politiker haben noch nicht erkannt, dass politisches Engagement längst auch außerhalb von Parteien stattfindet.

ne: Handeln müsste also der Bundestag?

Diefenbach-Trommer: Genau. So kurios das Urteil in manchen Teilen ist, die Richter haben in erster Linie das Gesetz angewendet. Und das zu verändern ist Sache des Gesetzgebers.

ne: Inwiefern ist das Urteil kurios?

Diefenbach-Trommer: Es behandelt mehrere Dinge. Ganz konkret besagt es, dass der Zweck der Volksbildung, wie es im Gesetz heißt, sehr eng auszulegen ist. Das ist in der Logik nachvollziehbar, auch wenn ich das deutlich zu eng finde. Eine andere konkrete Aussage, die aber überhaupt nicht begründet wird, betrifft den Zweck der Förderung des demokratischen Staatswesens. Hier sagt das Gericht: Das ist gar kein eigener Zweck, sondern fällt auch unter Bildung. Das ist ziemlich kühn, denn der Gesetzgeber hat diesen Zweck vor inzwischen 35 Jahren ins Gesetz geschrieben. Am verwirrendsten ist das, was zwischen den Zeilen des Urteils zum Thema politische Betätigung steht. Der Geist des Urteils ist, dass Politik eigentlich nicht zur Gemeinnützigkeit gehört, ohne dass es konkret ausgeführt wird. Auch durch die öffentliche Debatte zieht sich immer wieder die Idee, Politik sei etwas Unsauberes, von dem die Gemeinnützigkeit rein gehalten werden müsste. Was natürlich Unfug ist.

ne: Ihre Allianz gibt es seit 2015, das Problem ist also schon länger bekannt. Warum wird es jetzt konkret?

Diefenbach-Trommer: Das Problem ist fast so alt wie das Gemeinnützigkeitsrecht selbst. Die meisten Vereine, die es betrifft, wollen damit nicht in die Öffentlichkeit. Sie sorgen sich, dass Spender abspringen oder sie Fördermittel verlieren. Die Fälle landen auch selten vor Gericht. Meist kriegen Vereine zunächst einen formlosen Brief vom Finanzamt, gegen den sie gar nicht gerichtlich vorgehen können. Manche geben dann nach und schränken ihre Tätigkeiten ein, andere diskutieren teils über Jahre hinweg mit dem Amt, bis eine Einigung gefunden ist. Die Probleme beginnen oft schon bei der Vereinsgründung. Wir hören ständig politische Appelle, sich für die Demokratie, für Grundrechte, gegen Rassismus zu engagieren. Wenn Sie aber so einen Verein gründen, dann verzweifeln Sie ganz schnell am Finanzamt. Sichtbar wird das jetzt, weil Attac sein Verfahren von Anfang an sehr offensiv geführt hat und eben der Bundesfinanzhof ein Urteil dazu gesprochen hat, das dem Problem nicht abhilft.

ne: Wenn die Rechtslage unklar ist, legen die Finanzämter das Gesetz dann unterschiedlich aus?

Diefenbach-Trommer: Je ungenauer ein Gesetz ist, desto mehr Unterschiede gibt es bei der Anwendung. Ich sehe oft Vereine oder Stiftungen, bei denen ich mich frage: Wie haben die es denn geschafft, gemeinnützig zu sein? Wir haben vor einem Jahr für eine Studie drei Vereine aus dem politischen Bereich nachgebaut und eine gleichlautende Satzung an alle Finanzämter bundesweit geschickt mit der Frage: Könnte dieser Verein gemeinnützig werden? Im Durchschnitt sagt die Hälfte der Finanzämter ja, und die andere sagt nein. Dass sie nicht einheitlich entscheiden, ist normal. Aber es sind eben nicht zehn oder zwanzig Prozent, die von der Mehrheit abweichen, sondern es gibt faktisch keine Mehrheit. Das zeigt, dass man gut durchkommen kann, wenn man einen kooperativen, hilfreichen Sachbearbeiter hat, dass es aber eine Glücksfrage ist.

ne: Konservative Politiker fordern zuletzt häufig, bestimmten missliebigen Akteuren die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Gibt es da einen politischen Einfluss auf Ämter und Gerichte, oder ist so etwas bloß Wunschdenken?

Diefenbach-Trommer: Solche politischen Äußerungen üben natürlich schon einen Einfluss aus. Erstmal gehe ich davon aus, dass Gerichte im Großen und Ganzen unabhängig agieren. Finanzbeamte meistens auch, aber da wird der Druck schon größer, wenn ich gegenüber meiner Vorgesetzten – und diese vielleicht gegenüber der Finanzministerin – Entscheidungen zumindest erklären muss. Ganz grundsätzlich ist die Stimmung gefährlich, die damit erzeugt wird. Das sehen wir in vielen anderen Ländern, wo die Zivilgesellschaft massiv eingeschränkt ist: Es beginnt mit einer Stimmung. Die findet sich am Ende auch in Gerichtsurteilen wieder, in den Entscheidungen von Finanzämtern oder auch darin, dass solche Vereine körperlich angegriffen oder bedroht werden.

ne: Ein besonderer Dorn im Auge ist vielen dieser Politiker die Deutsche Umwelthilfe (DUH), von der Regierungspartei CDU gibt es sogar einen Parteitagsbeschluss, ihre Gemeinnützigkeit zu überprüfen. Wie schätzen Sie die Lage für die DUH ein?

Diefenbach-Trommer: Dieser ganze unmögliche Sprech, der zur Umwelthilfe im Umlauf ist, Abmahnverein etwa, das sind unsachliche Angriffe auf eine Form von Engagement. Was die DUH macht, ist zivilgesellschaftliches Engagement im besten Sinne. Sie kontrolliert rechtsstaatliche Institutionen mit ihren Klagen. Und sie gewinnt in aller Regel, das heißt, es ist nicht irgendwie missbräuchlich. Die DUH hat mehrere konkrete Zwecke wie Umweltschutz, die im Gesetz aufgeführt sind. Daher muss sie sich nicht mit so etwas wie Bildung behelfen. Insofern glaube ich, dass die Umwelthilfe da ziemlich sicher ist. Umso unmäßiger sind die Beschlüsse des CDU-Parteitags, zumal Parteien dafür nicht zuständig sind. Inzwischen verstehen wohl auch Leute bei der Union, dass es so nicht funktioniert und denken darüber nach, das Gesetz zu ändern. Das wollen wir ja auch gerne, nur fordern wir, dass Freiräume für die Zivilgesellschaft gesichert und geöffnet werden. Und wenn die CDU ernsthaft an die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe will, dann muss sie Freiräume schließen. Aufgabe einer Regierungspartei wie der CDU wäre es, Demokratie zu schützen statt sie infrage zu stellen.

ne: Nun kommt der aktuelle Finanzminister mit Olaf Scholz von der SPD. Wie sehen Sie seine Rolle bei dem Ganzen?

Diefenbach-Trommer: Von ihm war leider bisher noch gar nichts zu hören in der Frage. Die SPD hat sich in ihrem Programm zur Bundestagswahl dazu bekannt, neue gemeinnützige Zwecke ins Gesetz zu schreiben. Herr Scholz hat dazu jetzt nichts gesagt. Offenbar wird in seinem Ministerium an einem Gesetzesentwurf geschrieben, wir wissen aber noch nicht, was geplant ist. Wir brauchen eine Gesetzesänderung, und die kann natürlich auch vom Finanzministerium angestoßen werden. Daneben könnten mit dem Anwendungserlass, der vom Ministerium kommt, auch Klarstellungen geschehen, gerade zur Frage politischer Betätigung. Da steht im Moment ein nicht verständliches Geschwurbel drin.

ne: Wenn es um die Rolle der Zivilgesellschaft geht, wie nehmen Sie die Klimabewegung Fridays for Future wahr?

Diefenbach-Trommer: Das illustriert ganz gut, worum es geht. Zwar auch um das Gemeinnützigkeitsrecht, weil es eben das prägende Recht für Engagement ist, aber letztlich um deutlich mehr als irgendwelche Steuervorteile: Die Frage, welche Rolle zivilgesellschaftliche Organisationen und Bewegungen in diesem Land haben. Mein Eindruck ist, wir erleben in den vergangenen Wochen und Monaten verschärft massive Angriffe auf solche Gruppen. Erstmal verbaler Art, aber ich finde die Tonlage teils wirklich erschreckend. Offenbar fühlen sich die Angreifer bedroht, dabei hat eine Bewegung wie Fridays for Future oder auch die Deutsche Umwelthilfe im eigentlichen Sinne ja gar keine Macht. Nicht die DUH verhängt Fahrverbote, sondern es sind Gerichte, die die Verwaltungen dazu zwingen. Fridays for Future hat noch kein Auto angekettet oder Flugzeugen den Treibstoff gesperrt. Aber diese Stimmen werden momentan diskreditiert, damit sie gar nicht erst zu Gehör kommen. Das ist sehr bedenklich.

ne: Was würde Ihrer Ansicht nach helfen?

Diefenbach-Trommer: Es fehlt die klare Feststellung, auch in der Politik, dass solche Protestbewegungen legitim sind und in der Vergangenheit oft schlechte Entscheidungen verhindert haben. Oder verhindert hätten, wenn auf sie gehört worden wäre. Ein positives Beispiel für Anerkennung ist die ehemalige Umweltministerin Barbara Hendricks, die sich im Bundestag bei der Anti-Atomkraft-Bewegung bedankt hat. Sie hat dort gesagt: Ohne euch hätten wir mehr Atommüll als heute, ihr hattet recht und wir als Politik haben uns getäuscht. Danke, dass ihr noch größeren Schaden verhindert habt. Wenn man erkennt, dass solche Bewegungen selbstlos zum Wohl der Allgemeinheit eintreten, wie es für die Gemeinnützigkeit definiert ist, dann stellt sich vielleicht ein passender Umgang damit ein. Das heißt ja nicht, dass sie automatisch recht haben. Die politische Entscheidung liegt am Ende beim Parlament, aber es muss solche Stimmen hören und ernst nehmen.


Stefan Diefenbach-Trommer
ist Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“. Das Bündnis besteht aus mehr als 80 Organisationen, darunter Attac, Brot für die Welt, Campact, Germanwatch und Terre des Femmes. Es setzt sich für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ein.

 

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