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Ergebnis der Bundestagswahl

Diffus fürs Klima

Tim Altegör, 27.09.21
Klimaschutz war ein wichtiges Wahlthema, entscheidend war er aber offenbar nicht. Auf der Straße wie an der Wahlurne zeigt sich ein Generationenkonflikt.

Die SPD holt am meisten Stimmen, CDU und CSU brechen ein, die Grünen gewinnen zwar deutlich dazu und schaffen ihr bisher bestes Ergebnis, landen am Ende aber rund zehn Prozentpunkte hinter den beiden amtierenden Regierungsparteien – lässt sich aus diesem Bild jetzt etwas ablesen zur Bedeutung von Klimaschutz für die Bundestagswahl?

Im Vorfeld hatten Auswertungen gezeigt und Aktivisten betont, dass selbst die Öko-Partei in ihrem Programm nicht weit genug geht, um der Klimakrise gerecht zu werden. Aber sie geht deutlich weiter als Union und SPD, auf dem Papier wie in der Wahrnehmung der Wählerinnen: In einer Befragung der Forschungsgruppe Wahlen nannten mit 46 Prozent und großem Abstand die meisten den Klimaschutz als „wichtigstes Problem“. 39 Prozent verorteten die größte Kompetenz, es zu lösen, bei den Grünen. Die Union kam auf elf, die SPD auf zehn Prozent. Im Grünen-Wahlergebnis von 14,8 Prozent spiegelt sich das nur sehr bedingt wider. Mit der Linken verlor die andere größere Partei, die zumindest laut Programm ambitionierten Klimaschutz versprach, knapp die Hälfte ihrer Stimmenanteile.

Bei Unter-30-jährigen liegen die Grünen vorn

Offen ist, wer nun mit wem koaliert, was zum Klima im Koalitionsvertrag stehen wird und wie dann die tatsächliche Politik aussieht. Wann kommt der Kohleausstieg? Wie hoch soll der CO2-Preis sein? Wie bauen wir schnell mehr Ökostromanlagen, wie gelangen Gebäude und Verkehr auf Kurs Richtung Treibhausgasneutralität? In der Wissenschaft herrscht Konsens, dass die ganzen schönen Klimaziele nur noch zu schaffen sind, wenn jetzt schnell sehr vieles auf den Weg kommt. Das UN-Klimasekretariat hat gerade eine Zwischenbilanz gezogen, wonach die Welt gemessen an den gesammelten staatlichen Ankündigungen auf eine Erderhitzung von 2,7 Grad Celsius zusteuert, weit entfernt vom erforderlichen 1,5-Grad-Limit. Der Climate Action Tracker, der die nationalen Klimaprogramme bewertet, listet auch Deutschland derzeit in der Kategorie „unzureichend“.

Am Freitag vor der Wahl organisierte die Fridays-for-Future-Bewegung einen weiteren großen Klimastreik mit mehr als 620 000 Teilnehmern. Wählen dürfen viele der jungen Demo-Teilnehmer noch nicht, und selbst wenn, sind sie in Deutschland in der Minderheit: Der Anteil der Stimmberechtigen unter 30 Jahren liegt bei 14,4 Prozent, bei Menschen über 60 sind es 38,2 Prozent. Eine U30-Wahl hätten die Grünen laut der Forschungsgruppe Wahlen mit 22 Prozent der Stimmen gewonnen, gefolgt von der FDP. Die Union läge bei elf, die SPD bei 17 Prozent.

Sicherheit junger Menschen „ernsthaft bedroht“

Auch bei den Unter-45-jährigen sind die Grünen noch gleichauf mit Union und SPD. Klare Sieger sind die beiden Groko-Parteien dagegen im Ü60-Segment, zusammen holen sie hier 70 Prozent. Bei Minderjährigen bieten die U18-Wahlen, die der deutsche Bundesjugendring organisiert, ein inoffizielles Bild: Die Grünen siegten mit 21 Prozent, vor SPD und CDU/CSU. Die Tierschutzpartei hätte die Fünf-Prozent-Hürde geknackt und säße zusätzlich im Bundestag.

Einen Tag nach der Wahl wies das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung auf eine neue Studie zur Häufigkeit von Klimaextremen hin. Demnach werde ein 2021 geborenes Kind nach aktuellem Stand „im Laufe seines Lebens durchschnittlich doppelt so viele Waldbrände, zwei- bis dreimal so viele Dürren, fast dreimal so viele Flussüberschwemmungen und Ernteausfälle sowie siebenmal mehr Hitzewellen erleben“ als ein heute 60-jähriger Mensch. Ohne drastische Emissionsminderung, so der Hauptautor Wim Thiery von der Freien Universität Brüssel, sei „die Sicherheit junger Generationen ernsthaft bedroht“.

Einige Klimaaktivisten traten wegen dieser Bedrohungslage zuletzt sogar in Hungerstreik, den sie mittlerweile wieder beendet haben. Ob die düstere Zukunftsaussicht die ältere Mehrheit in Deutschland wirklich so sehr juckt, dass sie einen teils auch unbequemen Wandel mittragen würde, diese Frage bleibt nach der Wahl fürs Erste weiter unbeantwortet.

 

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