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Klimastreik

Die Straße ruft

Tim Altegör, 16.09.19
Am 20. September ist der nächste große Klimastreik geplant, dieses Mal sollen auch die Erwachsenen mitmachen. Während die deutschen Gewerkschaften damit noch etwas fremdeln, haben mehrere Unternehmen ihre Teilnahme angekündigt.

Wenig mehr als ein Jahr ist es her, dass die schwedische Schülerin Greta Thunberg in Stockholm zum ersten Mal für das Klima streikte. Seit dem August 2018 ist daraus in Rekordzeit eine globale Bewegung junger Menschen entstanden, die freitags auf die Straße gehen und die Regierungen dieser Welt dazu auffordern, sich ihrer durch die Erderwärmung akut gefährdeten Zukunft anzunehmen. Einen Erfolg können die Demos bereits verzeichnen: Klimaschutz ist ganz nach oben gerückt auf der politischen Wahrnehmungsskala. Allein, spürbare Folgen in Form von Gesetzen hatte das bislang nicht. Am 20. September soll daher die nächste Eskalationsstufe folgen: vom Schülerstreik zum Protest möglichst vieler Menschen jeden Alters, zum globalen Klimastreik.

„Es kann nicht nur an uns hängen bleiben“, schreiben Thunberg und andere Mitglieder von Fridays for Future in einem Aufruf vom Mai. Die Klimakrise aufzuhalten sei „eine Aufgabe für die gesamte Menschheit“, nicht bloß für Teenager. Alle werden gebeten, sich im September anzuschließen. Der Tag soll der Auftakt zu einer weltweiten Aktionswoche für das Klima sein. In einem Schreiben, das in Tageszeitungen mehrerer Länder erschien, erklärte eine Reihe von Künstlern und Wissenschaftlern umgehend ihre Teilnahme, darunter die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood, die US-Schauspieler Mark Ruffalo und Maggie Gyllenhaal und die ehemalige Leiterin des UN-Klimasekretariats Christiana Figueres.

Der Termin für die Proteste ist günstig gewählt. Am 23. September lädt UN-Generalsekretär António Guterres zu Klimagesprächen in New York, bei denen er von den Staatschefs „konkrete Verpflichtungen“ statt bloßer Worte hören will. Noch besser passt es in Deutschland. Am 20. trifft sich das Klimakabinett der Bundesregierung, um mutmaßlich den Klimaschutz voranzubringen – wie weit allerdings, ist offen.

Aus Deutschland hat nur der Klimaaktivist Tadzio Müller das Promi-Schreiben unterzeichnet, der TV-Entertainer Joko Winterscheidt zudem seine Sympathie für einen Streik bekundet. Anfang August meldeten sich dann auch diejenigen zu Wort, die sich mit dem Streiken am besten auskennen sollten. Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, rief in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung sowie über Twitter zur Teilnahme auf, er persönlich sei dabei. Wenig später folgte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und erklärte, eher allgemein, seine Unterstützung für Fridays for Future.

Urlaub statt Streik?

„Erstmal positiv“, findet das Helmut Born. Bislang hätten sich die Gewerkschaften da „nicht mit Ruhm bekleckert“ und immer Distanz zur Klimabewegung gehalten. Born ist Verdi-Mitglied, war lange Betriebsrat und im Landesbezirksvorstand in NRW aktiv, mittlerweile ist er in Rente, sitzt aber noch im Ortsvorstand von Verdi Düsseldorf. Mit einigen Mitstreitern hat er 2016 die „Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Klimaschutz“ gegründet, als Reaktion auf eine Kampagne der Bergbaugewerkschaft IG BCE, die sich gegen Klimaaktivisten richtete. Das Motto der Gruppe: „Auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze.“

Für den 20. September haben Born und Co einen eigenen Aufruf an Gewerkschafter und Beschäftigte gestartet. Die Positionierung von Verdi und DGB geht ihm nicht weit genug, da beide einen echten Streik im Sinne einer Arbeitsniederlegung kategorisch ausschließen. Der DGB verweist auf das „geltende Arbeitsrecht“ und empfiehlt, sich für die Teilnahme an Demonstrationen freizunehmen, auch Bsirske spricht von „ausstempeln“.

Der Hintergrund ist die mindestens unklare Rechtslage bei sogenannten politischen Streiks, die sich nicht gegen einen Arbeitgeber richten, sondern eben politische Ziele verfolgen. Seit einem Gerichtsurteil aus den 1950er Jahren gelten sie in Deutschland als verboten, das ist jedoch durchaus umstritten. 2012 forderte eine Initiative von linken Politikern, Professoren und Gewerkschaftern, das Streikrecht zu reformieren, die Initiative versandete aber. Die Gewerkschaften selbst halten sich hier an den Status quo. „Den Vorständen fehlt der politische Wille, aber auch der Mut, so eine Auseinandersetzung durchzustehen“, sagt Klimagewerkschafter Born.

Angestellte, die mitdemonstrieren wollen, ohne ihren Job zu riskieren, müssen daher tatsächlich Urlaub nehmen, die Pause verlängern oder eine andere Lösung in Absprache mit ihrem Arbeitgeber finden. Eine weitere Möglichkeit sind Betriebsversammlungen, die an diesem Tag den Klimaschutz auf die Tagesordnung setzen können. In vielen Betrieben sei dieser bislang noch kein großes Thema, berichtet Born, was auch an der langen Zurückhaltung der Gewerkschaften liege.

Zaghafter Kurswechsel

Wie glaubhaft ist nun deren zaghafter neuer Kurs? Wer zwei Wochen nach Frank Bsirskes Äußerungen auf der Internetseite von Verdi nach dem Begriff „Klima“ sucht, bekommt als erste Treffer Beiträge zum Thema „betriebsratsfeindliches Klima“ und „pausenfeindliches Klima“ (gefolgt von einer Ablehnung der Erdgasförderung mittels Fracking). Bsirske selbst ist Grünen-Mitglied, aber auch stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat des Energiekonzerns RWE. Wiederholt hat er gegen einen Kohleausstieg mobilisiert, 2015 etwa gegen den damals geplanten „Klimabeitrag“. Sollte er nun seine Position geändert haben, wird sich das zudem nur bedingt niederschlagen: Im September tritt er nach 18 Jahren als Verdi-Vorsitzender ab und übergibt an seinen Stellvertreter Frank Werneke.

Auf der anderen Seite unterstützt die Verdi-Jugend den Klimastreik, in einem Bündnis mit zahlreichen Umwelt- und Sozialverbänden sowie religiösen Organisationen. Und erst kürzlich hat die IG Metall ein Papier gemeinsam mit den Umweltverbänden Nabu und BUND veröffentlicht, das zur beschleunigten „Klima- und Mobilitätswende“ aufruft. Darin stehen Sätze wie dieser: „Viele heute noch `erfolgreiche´ Produkte werden in einer klimaneutralen Welt keinen Platz mehr haben.“ Die Unternehmen müssten neu ausgerichtet, die Bürger unterstützt, die Klimaziele eingehalten werden.

„Ob die Gewerkschaften der Motor sein werden, da habe ich schon erhebliche Zweifel“, sagt Helmut Born. „Aber dass diese Distanzierung zu Ende geht, ist ein ermutigendes Zeichen.“ Im DGB waren 2018 knapp sechs Millionen Menschen organisiert, jeweils rund ein Drittel stellen die IG Metall und Verdi. „Wenn bundesweit ein bis zwei Prozent der Mitglieder dabei sind, wäre das schon gut“, findet Born, der am 20. im Rheinland mitdemonstrieren will. Bei einer Befragung des Umfrageinstituts Civey für neue energie erklärten sich knapp 40 Prozent der deutschen Angestellten grundsätzlich bereit, an einem Klimastreik teilzunehmen.


neue energie kooperiert für repräsentative Umfragen mit dem Umfrageinstitut Civey. Abstimmen kann jeder, doch berücksichtigt werden nur die Abstimmungen registrierter User. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Alle Informationen zur Methodik finden Sie hier.

Streikende Firmen

Einige von ihnen werden dazu sogar von ihren Chefs aufgerufen. Die GLS Bank verkündete schon im Mai, dass sie sich am Streik beteiligt. „An diesem Freitag im September 2019 wird die Bank geschlossen und die Arbeit eingestellt", erklärte Vorstandssprecher Thomas Jorberg. Unter dem Motto „Nicht mein Erbe“ hat die Bank mittlerweile eine Kampagne gestartet, an der viele weitere, meist kleinere Unternehmen beteiligt sind. Anfang September vermeldete der Fußball-Bundesligist Mainz 05, der am 20. September zum Auswärtsspiel nach Gelsenkirchen reist: Alle Mitarbeiter, die nicht direkt an dem Spiel beteiligt sind, dürften demonstrieren gehen. Für mitfahrende Fans spendiert der Verein zudem vergünstigte Zugtickets.

Aus dem Netzwerk der Entrepreneurs for Future, deren Stellungnahme pro Klimaschutz mehr als 2800 Firmen unterzeichnet haben, gibt es weitere Streikzusagen – wenn auch eher von Unternehmen, die ohnehin im Nachhaltigkeitssektor aktiv sind: dem Ökostromanbieter Naturstrom etwa, den Hannoverschen Kassen, einem Anbieter betrieblicher Altersvorsorge, und mehreren alternativen Supermärkten in Berlin. Naturstrom teilte mit, die Angestellten seien „aktiv zur Teilnahme ermuntert“ worden und würden dafür von der Arbeit freigestellt.

Das ist also die neueste Wendung im Kampf gegen den klimapolitischen Stillstand: Unternehmen, die statt bestreikt zu werden selbst die Arbeit niederlegen. Auf eine Reaktion der Bestreikten werden sie nicht lange warten müssen – ob die Bundesregierung beeindruckt ist, wissen wir noch am 20. September, wenn das Klimakabinett fertig getagt hat.

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 09/2019 von neue energie erschienen. Er wurde in Teilen aktualisiert.

 

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