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Interview

„Bei den Netzkosten befinden wir uns in einem Zustand absoluter Ahnungslosigkeit“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 02.12.16
... sagt Kevin Canty. Er ist von der IHK Berlin öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, unter anderem für die Kalkulation von Netzentgelten, und leitet das Sachverständigen-Büro infraCOMP. Für den Thinktank Agora Energiewende hat er die Studie „Transparenzdefizite der Netzregulierung“ erstellt.

Sie finden die Studie am Ende des Interviews.

neue energie: Herr Canty, die Bundesnetzagentur ist zuständig für die Ermittlung der Netzentgelte, die aktuell dafür sorgen, dass die Stromrechnungen sehr vieler Menschen stark steigen. Sie werfen der Behörde seit geraumer Zeit Intransparenz vor, haben deshalb auch Klagen eingereicht. Um was geht es genau?

Kevin Canty: Ich hatte die Bundesnetzagentur gebeten, mir Informationen zu Netzentgelten zur Verfügung zu stellen, unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz, kurz IFG. Nach dem IFG hat jedermann das Recht, Informationen von Behörden zu erfragen. In dem konkreten Fall geht es um die Entscheidung der Bundesnetzagentur zu einer Netzkostenfestlegung. Die Bundesnetzagentur verweigerte die Herausgabe, das Verwaltungsgericht Köln urteilte aber im Februar, dass die Behörde mir die erfragten Daten zu Unrecht verweigert hat. Nun hat der betroffene Netzbetreiber, eine Tochter der Stadtwerke München, beim Oberverwaltungsgericht Münster dagegen Beschwerde eingelegt.

neue energie: Um welche Informationen geht es dabei genau?

Canty: Konkret geht es um die sogenannte Mehrerlösabschöpfung. In der ersten Entgeltgenehmigungsrunde der Jahre 2005/2006 brauchte die Bundesnetzagentur teilweise ein ganzes Jahr für die Netzkostenprüfungen. Bis zu der ersten Genehmigung galten aber die alten, höheren Netzentgelte fort. Weil die genehmigten Entgelte rückwirkend ab Antragstellung in Kraft traten, hatten die Netzbetreiber einen sogenannten Mehrerlös erzielt. Man könnte auch sagen, sie haben einen unzulässigen Gewinn erzielt, aus überhöhten Netzentgelten. Diese Mehrerlöse wurden schließlich ab 2010, teilweise verteilt auf mehrere Jahre, von den genehmigten Netzkosten abgezogen, also abgeschöpft. Nun, die Bundesnetzagentur weigerte sich, mir die Höhe der Mehrerlösabschöpfung bei den Stadtwerken München mitzuteilen, deswegen meine Klage. Das Gerichtsverfahren wird hoffentlich eine generelle Klarstellung bringen, dass die Bundesnetzagentur ihre Entscheidungen zu den Netzmonopolen transparent machen muss.

neue energie: Und in welchem Maß ist der Verbraucher von dem Thema betroffen?

Canty: Das hängt von dem jeweiligen Anteil der Netzentgelte in seinem Endpreis ab, bei Haushalten geht man von durchschnittlich circa 30 Prozent aus.

neue energie: Welches Interesse hat die Bundesnetzagentur, solche Daten nicht öffentlich zu machen?

Canty: Es ist zu beobachten, dass sich die Bundesnetzagentur generell mit Transparenz im Bereich der Netzkosten schwer tut. Zunächst hatte die Behörde mir noch mitgeteilt, dass die erfragten Beträge kein Geschäftsgeheimnis seien. Der Netzbetreiber legte aber Widerspruch ein und die Bundesnetzagentur hat sich dieser Auffassung plötzlich angeschlossen. So landete meine Anfrage dann vor Gericht. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass man in der Behörde der Meinung ist, dass die Vorgänge dort die Öffentlichkeit nicht zu interessieren haben.

neue energie: Sie beklagen also, dass die Arbeit der Behörde insgesamt intransparent ist?

Canty: Ohne Daten kann man nicht beurteilen, inwieweit die Behörde ihrem gesetzlichen Auftrag überhaupt nachkommt. Wir kennen zwar die juristischen Begründungen der Entscheidungen, außerdem gibt es zahlreiche Gerichtsurteile. Aber die Frage, was die Regulierung, die 2005 eingeführt wurde, tatsächlich gebracht hat, lässt sich bislang nicht beantworten. Es gibt keine Auswertung, weder von der Bundesnetzagentur, noch aus externen Quellen. Es gibt auch keine Zahl, was die Übertragungs- und Verteilnetze in Summe kosten. Das ist nach zehn Jahren Regulierung schon ein starkes Stück. Insofern kann man auch nicht beurteilen, wie sehr die Verbraucher durch die Kosten des Stromnetzes belastet werden. Auch die Entwicklung der Kosten über die vergangenen Jahre kann man bislang nicht bewerten und keine Vergleiche zwischen Netzbetreibern ziehen, wie effizient die jeweils arbeiten. Und: Wir können auch nicht konkret sagen, welchen Anteil die Energiewende tatsächlich an dem erheblichen Anstieg der Netzentgelte hat. Bei den Netzkosten befinden wir uns in einem Zustand der Ahnungslosigkeit.

neue energie: Angesichts der Debatten um die Einführung einheitlicher Netzentgelte erscheint das fatal …

Canty: Fatal erscheint mir generell die Herangehensweise zu sein, ohne öffentlich verfügbare Datengrundlage über die Netzentgeltsystematik zu diskutieren. Einheitliche Netzentgelte im Übertragungsnetz tragen sicherlich zu einer gerechteren Verteilung der Ausbaukosten für erneuerbare Energien bei. Dass in ländlichen Regionen höhere Netzentgelte anfallen als in Ballungsräumen liegt aber vor allem daran, dass in urbanen Regionen die Kosten wegen der höheren Bevölkerungsdichte sozusagen auf mehr Schultern verteilt werden können. Ob Netzbetreiber dort effizienter arbeiten als in ländlichen Regionen lässt sich daraus nicht ableiten. Entscheidend sind die Netzkosten - aber die kennen wir nicht.

Kommentare (2)

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  • 03.12.16 - 11:07, Guy Franquinet

    Alles was mit den Stromkosten zu tun hat und was im Zusammenhang mit dem EEG steht wird möglichst Geheim gehalten.Der Bürger könnte zu der Überzeugung kommen, dass er betrogen wird, das gilt es zu vermeiden.
    Stoppt das EEG. Die schlimmste Umverteilung von unten nach oben.

  • 04.12.16 - 11:23, Adrion Werner

    Wie werden die Transfers vom Norden Baden - Württembergs in die Schweiz, bzw. via Schweiz nach Italien - dem zahlenden Stromkunden in Deutschland gegenverrechnet ? Das waren heute gegen 09:00 Uhr über 5 GW, bzw. 5000 MW ???

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