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Analyse

Am Ende steht nur eine Frage …

Jörg-Rainer Zimmermann, 25.10.18
Die Erneuerbaren-Branche erlebt eine Zitterpartie, der Klimaschutz ist ausgebremst – weil in Berlin wichtige Gesetzesentwürfe auf Eis liegen. Kein gutes Signal vor Kattowitz.

Wie das Kaninchen vor der Schlange – so lässt sich der momentane Zustand der Erneuerbaren-Branche angesichts des Hauen und Stechens in der Großen Koalition wohl umschreiben. Es geht um brennende Fragen zum Energiemarkt der Zukunft, um Arbeitsplätze und das deutsche Klimaversprechen an die Welt. Am 12. März hatten die Parteivorsitzenden von CDU, SPD und CSU im Bundestag ihren Ehevertrag auf Zeit unterzeichnet. Danach durften die Marktakteure einmal mehr erfahren, wie es sich anfühlt, auf die Umsetzung der in Berlin gegebenen Versprechen zu warten. Damit riskiert die Politik beim Klimaschutz künftig noch schlechter abzuschneiden.

Trotz der in den Ministerien verfügbaren energiepolitischen Kompetenz, trotz aller Appelle von Weltkonzernen (darunter GE, Vestas und EnBW), trotz der Einwände führender Verbände der Energiewirtschaft sowie engagierter Landespolitiker aus unterschiedlichen politischen Lagern – wie auch der Warnungen der internationalen Klimaforschergemeinde: Seit März wurden die angekündigten gesetzlichen Änderungen immer wieder verschoben. Betroffen sind das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das Kraft-Wärme-Kopplung-Gesetz (KWKG) und das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Die Hängepartie verunsichert Unternehmen und verhindert millionenschwere Investitionen. Die bereits dramatische Situation am heimischen Markt dürfte sich weiter verschlechtern.

Im Kern geht es um den schnelleren Stromnetzausbau – dazu wird das „Netzausbaubeschleunigungsgesetz 2.0“ erwartet – und das künftige Energiemarktdesign, das mit dem „Energiesammelgesetz“ geregelt wird. Klare Beschlüsse gab es bislang nicht, nachdem das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) am 5. Oktober den betroffenen Branchen die Gesetzesentwürfe zugeleitet hatte. Sehr deutlich zeigte sich aber, wie heftig in der Koalition gestritten wird. Die Kontroverse sprengte im Oktober unter anderem ein Treffen der Koalitionsspitzen, das für den 19. Oktober angesetzt war. Bei diesem Termin sollte der Weg ins Bundeskabinett geebnet werden, wo Wirtschaftsminister Peter Altmaier am 24. Oktober das Energiesammelgesetz durchwinken lassen wollte. Das klappte offensichtlich nicht. Nach dem Kabinett muss sich allerdings noch der Bundestag mit dem neuen Gesetz beschäftigen. In Kraft treten soll es dann am 1. Januar 2019 des neuen Jahres. Ist der Zeitplan zu halten?

Klappt das alles noch? Schön wär’s.

Unstrittig ist, dass die heimische Erneuerbaren-Branche – Solar, Bioenergie, Wind – durch staatliche Einschnitte stark unter Druck geraten ist. Aktuell trifft es die Windbranche besonders hart, Experten sprechen von rund 5000 bereits gestrichenen Stellen. Das könnte aber erst der Anfang sein. In der Solarwirtschaft hatte die Politik den Wegfall von über 100.000 Jobs für eine Kurskorrektur in Kauf genommen.

Um fair zu sein, im zuständigen BMWi wie auch in den Koalitionsparteien ist man sich der Probleme bewusst. Doch zur Erinnerung: Das übers Knie gebrochene Ausschreibungsdesign hat dazu geführt, dass viele der 2017 in Auktionen vergebenen Windparkprojekte wohl erst in einigen Jahren gebaut werden dürften. Ein Fall von Trial and Error. Error überwiegt aktuell – und führt zu einem Markteinbruch. Es geht in Richtung Süden, wie es in solchen Momenten an der Börse heißt. Sonnige Aussichten sehen anders aus.

Wurden im vergangenen Jahr Anlagen mit insgesamt rund 5300 Megawatt (MW) Leistung aufgestellt, werden es jetzt bis Ende Dezember voraussichtlich höchstens 3500 MW sein. Für 2019 erwartet die Branche maximal 2000 MW – das liegt deutlich unter dem staatlichen Ausbaudeckel von 2800 MW. Angesichts dieser Entwicklung haben so gut wie alle wichtigen Anlagenhersteller in Deutschland mittlerweile Stellen gestrichen. Die Anlagenbauer Enercon und Vestas meldeten im zeitlichen Umfeld der jüngsten Hamburger Windmesse jeweils einen Stellenabbau im dreistelligen Bereich.

Volkswirtschaft entgehen Millionen

Weil der Trend sich schon länger abzeichnet, vereinbarten Union und SPD vor mehr als einem halben Jahr im Koalitionsvertrag, dass 2019 und 2020 jeweils 2000 MW zusätzlich ausgeschrieben werden sollen. Das Gleiche wurde für die Solarbranche beschlossen. Es gibt nur eine Bedingung: Der Zubau muss sich am Fortschritt des Stromnetzausbaus orientieren. Der hinkt bekanntlich seit Jahren hinterher. Obwohl es um Millionen-Umsätze geht, die den Unternehmen und der Volkswirtschaft entgehen, gilt das Prinzip „Ja-Aber“.

Kaum war die Tinte unter dem Koalitionsvertrag trocken, begann der Streit. Weil es mit den Netzen nicht vorangeht, sollte die Ausschreibung der 4000 MW Wind-Leistung über vier statt zwei Jahre erfolgen, hieß es in der Union – und auch im CDU-geführten BMWi. Dass das Ministerium zunächst am neuen Netzgesetz bastelte, erscheint naheliegend. War es aber nötig, das Energiesammelgesetz so sehr hintanzustellen? Die neuen Marktregeln hätten innerhalb der ersten drei Monate nach Regierungsbildung vorliegen sollen. Anfangs firmierte das Ganze noch unter „100-Tage-Gesetz“.

Die Frage stellt sich besonders, weil auch das Netzgesetz noch nicht vorliegt. Erste Lösungsvorschläge sollte es vor der parlamentarischen Sommerpause geben, hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier im Juni auf dem Kongress des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft angekündigt. Im August kam dann der „Aktionsplan Stromnetze“, weitere Details wurden beim „Netz-Gipfel“ im September öffentlich. Mittlerweile kursieren erste Entwürfe zum Netzausbaubeschleunigungsgesetz. Beschlossen ist bislang nichts.

Dass die Sache eilt, darüber herrscht Konsens. Thomas Bareiß, parlamentarischer Staatssekretär im BMWi, verweist auf ein wichtiges Datum: „Wir müssen bis 2025 deutliche Fortschritte beim Netzausbau machen. Ich denke, dass wir bis dahin die drei großen Stromautobahnen von Nord nach Süd realisieren können.“ Und: Das Beschleunigungsgesetz werde derzeit in der Bundesregierung abgestimmt.

Die EU macht Druck

Tatsächlich geht es bei dem Thema nicht nur um die heimische Energiewende. Die EU fordert von Deutschland, bis 2025 die Übertragungsnetze auszubauen. Wenn im Norden regelmäßig zu viel Strom produziert wird, führt das zu Einschränkungen im europäischen Energiehandel. In Zeiten hohen Windaufkommens muss der Strom über die Netze der Nachbarländer abtransportiert werden. 2025 sollen jedoch 75 Prozent der Leitungskapazitäten an den Landesgrenzen dem europäischen Stromhandel zur Verfügung stehen. Erfüllt Deutschland diese Anforderung nicht, könnte es dazu kommen, dass die EU fordert, hierzulande zwei Strompreiszonen einzuführen. Das will die Politik verhindern. Wobei es auch um die ungemütliche Frage geht, in welchem Umfang man Kohle abschaltet und Erneuerbare ausbaut.  

In dieser komplexen Gesamtlage führt das Warten auf die Umsetzung des Koalitionsvertrags zur Verschärfung der Probleme und des Tonfalls zwischen den politischen Lagern. Die eingefleischten Windkraftkritiker unter den Christdemokraten haben sich bislang nur wenig bewegt, wenn das Thema Sonderausschreibungen aufgerufen wurde. Verständlich. Auf sie wirken wichtige Akteure ein. Vertreter der Industrie etwa, die gebetsmühlenartig die hohen Strompreise in Deutschland als Schwächung des Standorts beklagen, spielen eine zentrale Rolle. Wobei Gruppen wie der Berliner Kreis in der CDU argumentative Unterstützung anbieten. Nicht zuletzt entfalten auch die breit diskutierten Bedenken hinsichtlich eines schnellen Kohleausstiegs an dieser Stelle hemmende Wirkung.

Vertreter der SPD halten beim Thema Sonderausschreibungen jedoch dagegen. „Ich wünsche mir, dass das Energiesammelgesetz abdeckt, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Alle ausbaubegrenzenden Tatbestände, die der Koalitionspartner eingefügt hat, sollten entfernt werden“, erklärt Johann Saathoff, energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion, auf Nachfrage.

Für Saathoff ist deshalb der jüngste Vorschlag der Union, die Sondervolumen auf drei Jahre zu strecken, nicht diskutabel. Ginge es danach, würden 2019 zunächst nur 1000 MW zusätzlich ausgeschrieben, gefolgt von 1400 MW und für das Jahr 2021 dann 1600 MW. Zwar gab es in den jüngsten Ausschreibungsrunden für Onshore-Wind teils zu wenig Gebote, das zur Verfügung stehende Volumen wurde wiederholt nicht ausgeschöpft. Für Saathoff ist das aber kein Grund, die Mengen zu drosseln oder in Teilen ungenutzt zu lassen. „Sollten die Ausschreibungsrunden unterzeichnet sein, sollen diese Mengen laut der Union verfallen. Das tragen wir von der SPD aber nicht mit“, sagt Saathoff. Seiner Ansicht nach müssten die nicht vergebenen Volumen in späteren Auktionsrunden noch einmal ausgeschrieben werden. Ähnlich positioniert sich ein Sprecher des Bundesumweltministeriums.

Die Logik dahinter: Werden die Fehlmengen den folgenden Auktionsrunden nicht zugeschlagen, wird es immer schwieriger, das von der Koalition angehobene Erneuerbaren-Ziel für 2030 zu erreichen. Dann würde es am Ende zwei Verlierer geben, die Erneuerbaren-Branche und den Klimaschutz.

Projekte im Genehmigungsstau

Dass die Auktionen in letzter Zeit oft unterzeichnet sind, liegt laut der Branche nicht zuletzt an der restriktiven Genehmigungspraxis in den Bundesländern. Die Projektierer verfügen momentan schlicht nicht über genügend genehmigte Windparkprojekte. Zudem werden nach erfolgter Genehmigung von Windkraftgegnern oft Klagen gegen die Projekte eingereicht – die dann erstmal für lange Zeit auf Eis liegen.

Obendrein nutzen Windkraftgegner das Thema Genehmigungsstau sogar als Begründung dafür, dass Sonderausschreibungen gar nicht nötig seien. Bei ständig unterzeichneten Auktionsrunden drohten weniger Wettbewerb und steigende Zuschlagswerte.

Die Politik könnte gegensteuern. Die bundesweite Vereinheitlichung von rechtlichen Vorgaben würde die Situation entspannen. Die Branche hat dazu etliche Vorschläge gemacht. So könnte etwa die Ausweisung von zwei Prozent der Landesflächen für Windenergie verbindlich über das Bundesraumordnungsgesetz geregelt werden.

Darüber hinaus wurde im Koalitionsvertrag festgelegt, dass Kommunen durch Windparks mehr profitieren sollen. Das steigert die Akzeptanz. Im BMWi ist man an dem Thema dran: „Hinsichtlich einer stärkeren finanziellen Beteiligung der Kommunen an den Windparks vor Ort werden Studien durchgeführt, diskutiert werden da unterschiedliche Modelle“, bestätigt Staatssekretär Bareiß gegenüber neue energie. Offen ist, ob es dazu eine Aussage im Energiesammelgesetz geben wird.

Ausbaustopp in Brandenburg gefordert

Ernst zu nehmen ist die Akzeptanz-Frage in jedem Fall. Mittlerweile dient sie CDU-Bundestagsabgeordneten aus Brandenburg sogar als Argument, einen Ausbaustopp der Windenergie in ihrem Bundesland zu fordern. Damit wurde eine Diskussion vom Zaun gebrochen, wie der Ausbau in ganz Deutschland eingeschränkt werden könnte.

Konkret steht im Raum, die bauplanungsrechtliche Privilegierung von Windkraftanlagen zu streichen sowie die Pflichtabstände zwischen Windparks und Wohnbebauung zu erhöhen – ähnlich wie es in Bayern mit der sogenannten 10H-Regel geschehen ist. Man darf vermuten, dass es angesichts der laufenden Debatten um die Sonderausschreibungen auch darum geht, eine Drohkulisse aufzubauen. Ähnlich dürfte die jüngst ins Spiel gebrachte Aufweichung des Einspeisevorrangs für erneuerbare Energien zu verstehen sein. 

Angesichts der Gemengelage wünscht sich Johann Saathoff, dass endlich Anreize geschaffen werden, um den Genehmigungsstau schnell aufzulösen. „Fakt ist, dass aber das Gegenteil geschieht. Die Union will für Anlagen im Süden einen Bonus von drei Cent je Kilowattstunde einführen, fordert aber die Ausweitung der 10H-Regel, was zu einer weiteren Flächenbegrenzung führt. Das ist kontraproduktiv“, erklärt der SPD-Energieexperte – und ergänzt: „Unser Problem ist, dass die CDU so tut, als wäre der Koalitionsvertrag die Position der SPD, über die man verhandeln muss. Wichtig ist aber, dass wir das Ziel eines Erneuerbaren-Anteils von 65 Prozent bis 2030 schaffen. Dazu brauchen wir zeitnah entsprechende Zubaumengen.“

Kommt das Energiesammelgesetz noch in diesem Jahr? Oder reist die deutsche Delegation zur nächsten internationalen Klimakonferenz mit einer großen Sorge im Gepäck: Verfehlt Deutschland auch im Jahr 2030 seine Klimaziele? Ein klima- und energiepolitischer Durchbruch wäre für Kattowitz jedenfalls das richtige Signal gewesen. 

 

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